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Perspektivenwende: Ein Mosambikaner über die »Wende«
Nr. 8: Novenber 2003 >>zurück zur Übersicht?

Ich kam im Frühjahr 1987 als Vertragsarbeiter in die DDR. In Mosambik war es schwer, sich sein Brot zu verdienen und ich hätte zur Armee gehen müssen, da das Land in einem Bürgerkrieg steckte. Die Politiker sagten, du musst zur Armee gehen, und ich dachte, besser ist es, du gehst nach Deutschland. Ich war noch 19 Jahre jung und kam zusammen mit einer Gruppe aus fünfzig Männern. Wie alle Vertragsarbeiter wurden wir die ersten zwei Monate in ein Heim gesteckt und auf Krankheiten untersucht. Unsere Visa bestanden aus einer einzigen Liste und unsere eigenen Ausreisepässe hatten keinen Hinweis auf ein Visum. Unsere Betreuer kümmerten sich um unsere Papiere. Wir hatten alle einen DDR-Pass und wurden behandelt wie DDR-Bürger. Ich hatte in der Zeit noch nie etwas von Illegalen gehört. Den Beruf bekamen wir mehr oder weniger von den Betreuern zugeteilt. Diese waren Afrikaner, die schon länger in der DDR gelebt hatten. Meinen ersten Job als Metallarbeiter musste ich wegen meiner Hautallergie bald aufgeben. Außerdem erhielt ich dort zwar viel Lob, aber nicht so viel Geld wie meine Kollegen in der Sortierung, was eine recht einfache Arbeit war. Ich arbeitete dann in der Sortierung im Glaswerk in Alt-Stralau als Gabelstaplerfahrer, zusammen mit Deutschen, Mosambikanern und Vietnamesen. Als Afrikaner neu in Deutschland waren wir sehr sensibel. Ein Deutscher brauchte nur etwas von seiner »schwarzen Katze« oder seinem »schwarzen Tag« zu erzählen, und schon hatte er einen ernsthaften Streit mit uns. Wir genossen die Freiheit in unserem Wohnheim. Durch die Schichtarbeit gab es jederzeit Arbeiter, die frei hatten, Lieder sangen, tranken und Party machten, wir waren ja alle erst in einem Alter zwischen 18 und 22 Jahren. Hauptsache man kam pünktlich zur Arbeit. Wir waren sogar so laut, dass wir alle aus dem Heim in Hellersdorf rausmussten, weil es dort noch deutsche Nachbarn gab, die sich gestört fühlten. In Hohenschönhausen wohnten wir dann in einem riesigen Ausländerwohnheim und die deutschen Nachbarn wohnten dort so weit weg, dass sie uns nicht hören konnten. Der Kontakt mit der Volkspolizei war damals recht gut. Wenn man nachts etwas angetrunken war und den Heimweg vergessen hatte, brachten sie einen sogar auch mal nach Hause. Alle Vertragsarbeiter waren Mitglied bei der FDJ und beim FDGB . Ich wusste zwar nicht welche Bedeutung diese Organisationen hatten, aber ich hatte ein T-Shirt mit ihren Zeichen. Es gab auch regelmäßig politische Versammlungen, wo viel von der wichtigen Kooperation zwischen sozialistischen Ländern, der Stärke der Arbeiter und ähnliches geredet wurde. Für die Vertragsarbeiter gab es neben dem Arbeitslohn auch ein Trennungsgeld von 120 Ostmark, weil man von seiner Familie getrennt war. Kam man wiederholt nicht auf diese politischen Versammlungen, wurde das Trennungsgeld gekürzt. Vielleicht haben die Betreuer das nicht ausgezahlte Trennungsgeld dann unter sich aufgeteilt, aber das weiß ich nicht genau. Wenn man wirklich faul war, oft bei der Arbeit fehlte oder eine Frau verbotenerweise bei einem übernachtete, wurde man abgeschoben. Dies war selten, aber es passierte. Von den Demonstrationen gegen die DDR-Regierung im Herbst 1989 hatte ich gehört. Ich kam aber nie auf den Gedanken, dort hinzugehen. Unsere Betreuer hätten es mitbekommen und wir Vertragsarbeiter hätten mit direkten Konsequenzen rechnen müssen (Verwarnung, weniger Trennungsgeld). Es gab auch Kollegen, die geflüchtet waren, wahrscheinlich zur Botschaft der BRD nach Prag. Bei der Arbeit wurde über diese Flüchtlinge noch schlechter geredet als über die Afrikaner. Seit November 1989 ist die Mauer weg und nach einigen Tagen bin ich nach West-Berlin. Toll, selbst nachts war es noch so hell von den vielen Lichtern der Reklame. Wie alle DDR-Bürger haben wir 100,00 DM Begrüßungsgeld bekommen, was nach dem damaligen Umtauschverhältnis von Ostmark- und Westmark sehr viel Geld war. Ich denke, mit diesem Geld hat die CDU damals viele Stimmen für die erste Bundestagswahl im vereinigten Deutschland gekauft. Zu dieser Zeit wurde auch unsere Firma verkauft, und fast alle wurden entlassen, einschließlich unserer Betreuer und der deutschen Kollegen. Nirgends gab es konkrete Informationen über die Zukunft. Selbst unsere deutschen Kollegen hatten keine Ahnung, was passieren würde, weil sie von Arbeitslosigkeit und Arbeitsamt noch nie etwas gehört hatten. Vier bis fünf Monate nach der Wende kam es regelmäßig zu handfesten Angriffen der Neonazis mit Steinen und Baseballschlägern auf unser Wohnheim. Wir wehrten uns mit Flaschen und die Mutigsten gingen auch raus, um sich zu verteidigen. Schon damals hatten wir aber auch deutsche Freunde, die uns halfen. Anfangs war die Polizei wirklich neutral und versuchte zwischen Afrikanern und Deutschen zu trennen. Doch nach kurzer Zeit sah die Polizei nur noch bei den Afrikanern die Schuld an den Streitereien und nahm die Neonazis in Schutz. (Das ist natürlich meine eigene Meinung, ein Polizist oder ein Deutscher wird es wahrscheinlich anders sehen.) Dazu sollte ich erzählen, dass wir Afrikaner uns manchmal auch nicht so gut benommen hatten. Zum Beispiel gab es zu DDR-Zeiten wenige Gaststätten. Wir Afrikaner kannten keine festen Preise, zu Hause wurde alles verhandelt. Wenn die Gastwirte sympathisch waren, gaben wir ihnen also ein gutes Trinkgeld. Auf diese Weise kam es vor, dass der Gastwirt die deutschen Gäste aus der Kneipe warf, damit ein Tisch für uns frei wurde. Das gefiel den Deutschen natürlich nicht. Seit dem Mauerfall war es für Ausländer auch gefährlich, spät abends auf die Straße zu gehen. Besonders wenn man nach der Spätschicht nach Hause musste, war dies ein großes Problem. Damals holte ich meine vietnamesische Freundin, meine jetzige Frau, abends von der Arbeit ab. Wegen meiner schwarzen Hautfarbe hatte ich aber selbst viel mehr Grund, Angst zu haben, weil ich noch ausländischer als sie aussah. Jede Woche bekamen wir mit, dass einer unserer afrikanischen Kollegen zusammengeschlagen wurde. Eine etwas genauere Gesetzgebung für Ausländer aus Ost-Deutschland gab es erst ab Sommer 1991. Alle Ausländer mussten einen Reisepass haben und sollten polizeilich gemeldet sein. Eine Aufenthaltsbewilligung erhielt man aber nur, wenn man einen gültigen Arbeitsvertrag hatte. Zwischen 1989 und 1992 wurden massenweise Ausländer abgeschoben und illegalisiert, über 15.000 Mosambikaner und andere Nationalitäten. Obwohl ich eine Arbeit bei den Glaswerken hatte, erhielt ich keine Aufenthaltsgenehmigung. Irgendwann wurde ich bei einer Kontrolle verhaftet, kam zehn Wochen in Abschiebehaft und wurde dann nach Mosambik abgeschoben. Nach kurzer Zeit kam ich wieder zurück nach Deutschland. Nach einer weiteren Polizeikontrolle 1999 kam ich für sechs Monate in Abschiebehaft nach Köpenick, dort habe ich auch den Millenniumswechsel erlebt. Ich wurde entlassen und erhielt eine Grenzübertrittsbescheinigung für einen Monat. Danach hatte ich zwischendurch noch für zwei Monate eine Duldung, die aber auch nicht verlängert wurde. Diese Scherereien mit dem Aufenthaltsrecht haben leider nie aufgehört. Besonders deswegen erscheint die DDR-Zeit für mich heute in einem besseren Licht als die Situation heute.

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