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Gesundheitsversorgung ohne Aufenthaltsstatus:
Das Büro für medizinische Flüchtlingshilfe
Nr. 6: Februar 2003 >>zurück zur Übersicht?

Von Frau Dr. Jessica Groß Auszug aus der Broschüre „Verwaltet, entrechtet, abgestempelt ­ Wo bleiben die Menschen?” des Projekt-tutoriums „Lebensverhältnisse von Flüchtlingen in Berlin”, die in Kürze in Berlin erscheinen wird.

Seit 1996 hat das Büro für medizinische Flüchtlingshilfe rund 4000 Menschen betreut, die ohne Aufenthaltsstatus in Berlin leben und daher keinen Zugang zu regulären Gesundheitsleistungen haben. Dabei leistet das Büro für medizinische Flüchtlingshilfe selbst keine medizinische Hilfe. Die MitarbeiterInnen verstehen sich als Vermittler, sie erfragen die Beschwerden der Ratsuchenden und vermitteln sie an Ärztinnen und Ärzte, Hebammen, Krankengymnastinnen, Heilpraktiker und andere medizinische Einrichtungen. Die Ärzte und Ärztinnen, die mit dem Büro zusammenarbeiten, behandeln die Flüchtlinge kostenlos und verzichten auf die Identifikation der Betroffenen. Im Bedarfsfall vermittelt das Büro Dolmetscher, die die Patienten in die Praxis begleiten. Das Büro für medizinische Flüchtlingshilfe finanziert sich ausschließlich aus Spenden. Vor sechs Jahren wurde das Büro für medizinische Flüchtlingshilfe mit dem Ziel gegründet, der rassistischen Ausgrenzung von Flüchtlingen aus der Sozial-gesetzgebung und der regulären Gesundheitsversorgung ein praktisches Projekt und eine politische Initiative entgegenzusetzen. Seit 1993 werden durch die faktische Abschaffung des Asylrechts immer mehr Flüchtlinge in die Illegalität gedrängt. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Büros arbeiten ehrenamtlich und verstehen sich explizit nicht als Lückenbüßer im Gesundheitswesen. Vielmehr wollen sie mit ihrer Arbeit deutlich machen, dass die Ausgrenzung von Menschen aufgrund ihres Aufenthaltsstatus aus grund-legenden Menschenrechten, wie der Gesundheitsversorgung, nicht hinnehmbar ist. Das langfristige Ziel ist die Integration aller Patienten und Patientinnen in das reguläre Gesundheitssystem unter Wahrung der üblichen medizinischen Standards. An das Büro wenden sich Flüchtlinge, die unter das seit 1993 existierende Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) fallen. Sie erhalten laut Gesetz nur eine eingeschränkte medizinische Versorgung. Trotz Vorliegen einer Duldung ist es für Flüchtlinge in Einzelfällen schwierig, die Kostenübernahme gegenüber dem Sozialamt durchzusetzen. Das Büro wird aber vor allem von Menschen ohne Aufenthaltsstatus aufgesucht. Sie sind von Abschiebung bedroht, sobald sie sich an Krankenhäuser oder Arztpraxen wenden und diese entweder ihre Daten zwecks Abrechnung an das Sozialamt weitergeben oder gar selbst die Ausländerbehörde informieren. Gefahr der Abschiebung durch Denunziation bei stationärer Behandlung Besonders schwierig ist die Situation, wenn eine stationäre Behandlung notwendig wird. Rechtlich gesehen haben auch Personen ohne regulären Aufenthaltsstatus einen Anspruch auf Leistungen nach dem AsylbLG, nur können sie diesen nicht durchsetzen. Sobald Ansprüche dem Sozialamt gegenüber geltend gemacht werden, erfolgt die Weitergabe der Daten an die Ausländer-behörde. Im schlimmsten Fall droht die Abschiebung direkt aus dem Krankenhaus. Zum Beispiel wurde in der Abteilung für Gynäkologie der Charité (Standort Mitte) im Juni letzten Jahres eine im fünften Monat schwangere Vietnamesin, die aufgrund eines sehr schmerzhaften Vulvahämatoms stationär aufgenommen worden war, nach zwei Tagen von der Polizei in Handschellen von der Station abgeführt. Um eine Weitergabe der Daten zu verhindern, können die PatientInnen im Krankenhaus als “Selbstzahler” aufgenommen werden. Im Unterschied zu den Sozialämtern sind die Krankenhäuser nicht zur Weitergabe von Daten an die Ausländerbehörde verpflichtet. In der Regel aber haben Flüchtlinge ohne Aufendhaltsstatus nicht genug Geld, um die Rechnung zu begleichen. Schwangerschaft und Geburt Ein weiteres schwieriges Problem ist die Betreuung bei Schwangerschaft und Geburt. Während der Mutterschutzfrist, d.h. sechs Wochen vor bis acht Wochen nach der Geburt, kann aufgrund von faktischen Abschiebehindernissen eine Duldung erteilt werden. Wenn die Frauen sich allerdings durch einen Antrag auf Duldung der Ausländerbehörde offenbaren, ist ihr Schicksal nach Ablauf der Schutzfrist unsicher. Ihre Adresse ist nun bekannt, sie müssen ihr bisheriges Lebensumfeld verlassen und eine andere Unterkunft suchen. Wegen des unsicheren Aufenthaltsstatus ist in der Regel eine normale Schwangerenvorsorge gar nicht möglich. Medizinische Risiken und Gefahrensituationen für Mutter und Kind können daher nicht diagnostiziert und behandelt werden. Dazu kommt die psycho-soziale Belastung durch die Unsicherheit, die Angst vor Abschiebung und die materiell schwierige Lebenssituation. Schwangerschaften in der Illegalität sind daher als Risikoschwangerschaften anzusehen und bedürfen einer besonders sorgfältigen Betreuung durch Ärzte und Hebammen. Erhebliche Probleme bereitet im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt die Ausstellung einer Geburtsurkunde. Erstens prüfen die Standesämter den Aufenthaltsstatus nach und könnten sofort die Polizei informieren. Dann endet das Abholen der Geburtsurkunde im schlimmsten Fall im Abschiebegefängnis. Zweitens erfolgt routinemäßig die Weitergabe der Daten an das Einwohnermeldeamt, was wiederum eine Verfolgung nach sich zieht. Das Leben ohne Geburtsurkunde ist jedoch nicht nur ein dauerndes Handicap für das Kind. Falls Mutter und Kind aufgegriffen werden, kann es auch zu deren Trennung führen, da die Mutter nicht beweisen kann, dass es sich wirklich um ihr Kind handelt. Gesundheitliche Risiken Die Unsicherheit und Unberechenbarkeit des Lebens stellt eine große Bürde dar, unter der viele leiden, die ohne oder mit unsicherem Aufenthaltsstatus hier leben. Die Angst vor Entdeckung führt oft dazu, sich gar nicht in die Öffentlichkeit zu wagen. Reale Gefahren können von Phobien manchmal gar nicht klar getrennt werden. Nicht nur die Polizei, sondern auch Mitarbeiter von Behörden werden als Bedrohung wahrgenommen. Viele können dabei gar nicht einschätzen, wer ihnen als Vertreter der Staatsmacht oder als Angestellter einer unabhängigen Beratungseinrichtung gegenübertritt. Diese dauernde Bedrohungssituation kann Depressionen und andere psychische Störungen hervorrufen. Psychosomatische Ursachen können zu Klagen über diffuse körperliche Symptome führen. Darüber hinaus führen die realen Lebensbedingungen, die schlechten Wohnverhältnisse und gefährliche Arbeitsbedingungen zu gesundheitlichen Belastungen. Da der Zugang zu medizinischer Versorgung schwierig ist, wird oft erst bei ernsten Beschwerden medizinische Hilfe gesucht und es kommt zu Chronifizierungen. Wenn dann eine ambulante Therapie eingeleitet wird, ist es manchmal nicht möglich, diese konsequent zu Ende zu führen. Vielfach fehlt das Geld für notwendige Medikamente. Wegen der schikanösen Arbeitszeiten, gegen die sich die Betroffenen ohne Papiere in der Regel nicht zur Wehr setzen können, werden Folgetermine manchmal nicht eingehalten. Da sie sich nicht krankmelden können und für sie der Erhalt ihres Arbeitsplatzes existentiell wichtig ist, verzögert sich häufig die Behandlung. Was tun!? Die Berliner Wohlfahrtsverbände haben im Juli 2000 in einer Stellungnahme die Einhaltung von Mindeststandards für Menschen ohne Aufenthaltsstatus gefordert. “Alle Menschen müssen die Möglichkeit haben, sich medizinisch behandeln zu lassen, ohne Angst zu haben, wegen ihres fehlenden Aufenthaltsstatus angezeigt zu werden. Dies gilt insbesondere für Schwangere”. Bereits 1998 hat der Welt-Ärztebund in Ottawa die Pflicht von Ärzten und Ärztinnen bekräftigt, Menschen unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus medizinisch zu behandeln. Wie kann das aussehen? Von Politikern und Experten wird als Lösung für die medizinische Versorgung von Menschen ohne Aufenthaltsstatus immer wieder die Einrichtung eines Armutsfonds, von Kontingentbetten oder von Obdachlosenambulanzen vorgeschlagen. Das Büro für medizinische Flüchtlingshilfe hält diese Ansätze jedoch für nicht ausreichend und daher für ungeeignet. Aus ihrer Praxis wissen die MitarbeiterInnen, dass die Gesundheitsprobleme eben nicht durch eine punktuelle Minimalversorgung gelöst werden können. Kontingente oder Fonds werden mit ihrer unverbindlichen und begrenzten Finanzierung stets im Widerspruch zu den Erfordernissen üblicher Therapiestandards stehen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wer nach welchen Kriterien über die Vergabe von Fondsmitteln entscheiden soll. Flüchtlinge, die ohne Aufenthaltsstatus in Deutschland leben, müssen vielmehr in die medizinische Regelversorgung integriert werden. Dass das möglich ist, zeigen Beispiele aus anderen europäischen Ländern. In Frankreich zum Beispiel erfolgt die medizinische Versorgung von Ausländern mit irregulärem Aufenthaltsstatus durch den AME (aide medical de l’etat), einer Organisation des Gesundheitsministeriums, zu den Bedingungen der regulären Versorgung in öffentlichen Krankenhäusern oder Arztpraxen und ohne Weitergabe von Daten an Polizei oder Innenministerium. Auch in Großbritannien ist die Versorgung durch das öffentliche Gesundheitswesen unter unproblema-tischeren Bedingungen möglich. Ein erster Schritt wäre die Abschaffung der § 76 und 92 AuslG (der Paragraphen, die „öffentliche Stellen" - z.B. Ärzte?- verpflichten, „Illegale” der Ausländerbehörde zu melden und Hilfeleistungen für „Illegale” zu Straftaten machen, Anmerkung von Grenzübertritte). Eine Entkriminalisierung und die Abrechnung über das Sozialamt wäre dann möglich, ohne ausländerrechtliche Sanktionen und Abschiebung durch die Ausländerbehörde befürchten zu müssen.


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