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Sind Sie mit der Abschiebung einverstanden?
Nr. 6: Februar 2003 >>zurück zur Übersicht?

Beiträge zu einer Ethnologie der Abschiebehaft in Berlin

Durch mehrere Berichte aus dem Inneren einer Abschiebehaftanstalt geben Studierende eines Projekttutoriums der Humboldt Universität einen Eindruck vom Alltag und den Besonderheiten der Abschiebehaft. Immer wenn ein Migrant oder eine Migrantin keine Aufenthaltsgenehmigung besitzt oder nicht mehr besitzt, ist sie zur Ausreise verpflichtet. Zur Sicherung der Ausreisepflicht kann die Ausländerbehörde eine Abschiebehaft anordnen. Der Freiheitsentzug der Abschiebehaft ist also keine Strafe, sondern eine Verwaltungsmaßnahme zur Sicherung der Abschiebung (§57 Ausländergesetz). In Fällen, „in denen der Ausländer seine Abschiebung verhindert” (§57, Abs.3), z.B. bei der Beschaffung eines Passes, kann die Abschiebehaft auf insgesamt bis zu 18 Monate immer wieder verlängert werden. Wie sich die Haft abspielt, welche Grenzen und Möglichkeiten des Besuchens, der Beratung, der geistlichen Betreuung existieren und wie der Alltag der Häftlinge untereinander und auch mit den Vollzugsbeamten aussieht, all dies wird in der Broschüre „Sind Sie mit der Abschiebung einverstanden?” erläutert. „Ich dachte immer Gefängnis wäre ein Ort für andere” beschreiben Migranten ihre Situation in Haft als Menschen wie du und ich. Wie sie mit Lesen, Fernsehen und Gesprächen versuchen die Zeit zu überbrücken, wie sie mental kämpfen und doch wieder von Depressionen überrascht werden oder mit ihren Mitbewohnern Essen, Fernsehen und die Toilette regeln. Vieles klingt mehr oder weniger harmlos, eben Alltag, aber es wird auch die gewaltsame Abschiebung beschrieben. Ein Algerier wurde vier oder fünf Mal jeweils mit Hilfe von 20 und mehr Polizisten überwältigt, gefesselt und zum Flughafen zur Abschiebung und wieder zurück gebracht, bis die Abschiebung gelang. Bei den Anhörungen des Häftlings vor dem Amtsgericht wird von einem Richter über die Erstinhaftierung bzw. Verlängerung der Haft nach dem Ausländergesetz §57 entschieden. Wie sich Ordnung, Standards und letztendlich Recht für Abschiebehäftlinge darstellt, schildern die Studierenden nach zwei Tagen Hospitation der Anhörungen. Der Häftling hat keinen Verteidiger, nur einen Dolmetscher. Dem Häftling wird nicht die Situation erklärt und worüber verhandelt wird. Parallel werden vom Richter oder der Vertretung der Ausländerbehörde bei der Anhörung z.T. private Telefonate geführt und andere Fälle organisiert. Der Richter verkündet nach 20 bis 30 Minuten das Urteil und blättert während der Übersetzung bereits in den Akten des nächsten Falles. Bei der ganzen Anhörung hat der Häftling keine Möglichkeit, seine Situation darzustellen. Aus den Erzählungen der Häftlinge und des Gefängnisseelsorgers bekommt man indirekt einen kleinen Eindruck von den dort arbeitenden Vollzugs beamten und den Vertretern der Ausländerbehörde. Dennoch fehlt diese Perspektive etwas. „Sind Sie mit der Abschiebung einverstanden“ ist ein Buch, dass dem Leser die verschlossene Welt der Abschiebehaft und einen weißen Fleck deutscher Normalität erschließt.
Karin kramer Verlag: ISBN 3-87956-227-6

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