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Antirassismus black and white
Nr.
19: Dezember 2009 >>zurück zur
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Mbolo Yufanyi von THE VOICE beschreibt im
Jahrbuch 2009 des Komitees für Grundrechte und Demokratie schonungslos
die massiven Differenzen zwischen deutschen linken Antirassisten und
den selbstorganisierten Migranten am Beispiel der Erfahrungen von THE
VOICE und „Die Karawane“.1 Menschenrechtsverletzungen würden als ein
Problem der Migranten „und nicht als ein die ganze Gesellschaft
betreffendes betrachtet“. Häufig würden sich weiße privilegierte
Deutsche „in die Position des überlegenen Helfers bringen“. Die
deutsche Linke sei „auch Teil des Problems“.
Beim
Karawane-Kongress in Jena 2000 hatten sich deutsche Antirassisten und
Migranten geeinigt, gegen antirassistische Gesetze vorzugehen. Nachdem
aber Flüchtlinge in Jena zu zivilem Ungehorsam gegen „die an Apartheid
erinnernde Einschränkung der Bewegungsfreiheit“ aufgerufen hatten,
distanzierten sich viele Gruppen und Organisationen von der Kampagne.
Hitzige Diskussionen zwischen Deutschen und Migranten gab es beim
Begriff der Lager, der NS-Assoziationen weckt. Restriktion gegen
Migranten heute und im Nationalsozialismus seien aus Perspektive der
deutschen Linken nicht vergleichbar gewesen, so Yufanyi. Diese
Diskussion habe Flüchtlinge demotiviert, gegen die Gesetze zu kämpfen.
Ein anderer Streitpunkt war die Kampagne zum Tod von Oury Jalloh.
Flüchtlinge und Migranten gingen von Anfang an von einem Mord aus. Dies
der Öffentlichkeit zu zeigen, war Strategie der Kampagne. Dem wurde oft
aus unterschiedlichsten Kreisen der Linken widersprochen, so Yufanyi.
Schließlich
verweist Yufanyi auf das Konzept der „Autonomie der Migration“, das von
vielen deutschen Aktivisten aufgegriffen wurde. „Zahlreiche Konferenzen
und Seminare wurden von deutschen, linken Aktivisten organisiert, um
über Flucht und die dahinterliegenden Gründe, über die Konsequenzen der
Migration und ihre Autonomie zu diskutieren. Dabei waren nur wenige
oder gar keine Aktivisten der Migrantenorganisationen beteiligt.“ (Auch
Grenzübertritte organisierte einen Gesprächsabend über das Thema.
Unsere Referentin Manuela Bojadziev war früher bei der migrantischen
Initiative Kanak-Attak engagiert. Die anderen beiden Referentinnen
waren von Grenzübertritte, so dass es eine weiße Mehrheit auf dem
Podium gab. Aus dem Publikum hatten sich allerdings viele migrantische
Stimmen an der Diskussion beteiligt.)
Tim Zülch schreibt am 10.
Juli 2009 im Neuen Deutschland von einer „tiefen Krise“ der
antirassistischen Bewegung in Deutschland. So seien Webseiten nicht
aktuell und Demonstrationen schwach besucht. Nach dem Grenzcamp 2003
seien die Unterschiede zwischen deutschen Antirassisten und
migrantischer Selbstorganisation unüberbrückbar geworden. „Deutsche
Aktivisten stellten die Frage, ob antirassistisches Engagement auch
ohne MigrantInnen und Flüchtlinge möglich sei“, so Zülch.2
Osaren
Igbinoba von THE VOICE antwortet auf Zülchs Analyse im Neuen
Deutschland. Die unausweichliche Dominanz deutscher Gruppen bei der
Kooperation mit migrantischen Selbstorganisationen ergäbe sich
besonders durch „strukturelle Überlegenheit in Hinblick auf
Kontakte, Finanzen, Kenntnisse der Sprache und des Systems und wegen
der Isolation der Flüchtlinge.“3 Anlässlich der von Flüchtlingen selbst
initiierten Aktionen gegen Abschiebungen und Residenzpflicht sowie
gegen Morde an Oury Jallo, Dominique Koumadiou oder Layé Konde sei die
Gleichgültigkeit der deutschen Linken sichtbar geworden. Eine Ursache
für den Streit sieht Igbinoba besonders in den Folgen des deutschen
Kolonialismus. Habe er auch für Linke keine Bedeutung mehr für den
heutigen Rassismus, so beeinflusse dieses Erbe doch täglich unser
Leben. Tatsächlich seien „vermeintlichen Narben immer noch offene
Wunden“. Igbinoba schließt seine Analyse folgendermaßen: „Die
Schwierigkeiten in unseren Beziehungen müssen als permanente Mahnung
dienen: an die Vergangenheit, die wir in uns tragen, und an die
Gegenwart, die wir erfahren. Der Respekt gegenüber den Opfern ist dabei
ebenso fundamental wie die Anerkennung der Rechte dieser Opfer auf
Autonomie des Widerstands und auf Selbstbestimmung.“
Nicolaus Raßloff
Quellen:
1
Mbolo Movuh Yufanyi (von The VOICE Refugee Forum), „Die Stimme der
Toten und derjenigen, die noch sterben werden“ in: Komitee für
Grundrechte und Demokratie (Hg.), Jahrbuch 2009, „Jenseits der
Menschenrechte. Die europäische Flüchtlings- und Migrationspolitik“,
vgl. www.thecaravan.org/node/1919.
2 Tim Zülch, „Aneinander vorbei”, Neues Deutschland 10.07.2009, www.thevoiceforum.org/node/1374
3
Osaren Igbinoba „Die Fessel, die uns gefangen hält - The VOICE Forum
Network“, Neues Deutschland 28.08.2009, S.13, siehe auch:
www.thevoiceforum.org/node/1374
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