Neues an der Front(ex)
Nr. 17: November 2008
>>zurück zur Übersicht?
In den letzten Jahren fiel in migrationspolitischen Zusammenhängen
immer wieder der martialisch klingende Begriff „Frontex“. Anfangs
war er mit sehr viel Geheimnissen belegt und hatte etwas Sagenumwobenes.
Frontex ist die 2005 gegründete „Europäische Agentur für
die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen“ mit Sitz in
Warschau. Und sie machte wahrlich in den ersten Jahren v.a. durch Nichterscheinung
auf sich aufmerksam. Es gab keine Pressemitteilungen und keine Veröffentlichungen,
und auch aus Brüssel war wenig Konkretes über die Aufgaben und
Zuständigkeiten der Agentur zu erfahren. Im letzten Jahr nun zeigte
sich Frontex immer wieder der Öffentlichkeit, zum einen durch das Anstoßen
konkreter Operationen, zum anderen durch Pressekonferenzen und Veröffentlichungen.
Frontex versucht sich als Menschenrechtsinstitution zu geben und stellt
ihr humanitäres Interesse stark heraus. Die KritikerInnen hingegen
sehen in der Institution ein Abwehrinstrument gegen MigrantInnen und Flüchtlinge,
die in die EU kommen wollen.
Frontex ist in aller erster Linie eine Wissens- und Vernetzungsorganisation.
Sie führt bisher selbst keine konkreten Operationen durch, sondern
führt unter dem Begriff „vernetzte Sicherheit“ die verschiedenen
Akteure in Politik, nationalen Polizeien und Armeen zusammen, sowie VertreterInnen
aus der Wirtschaft, v.a. dem Bereich Sicherheitstechnik und Rüstungsindustrie.
Dabei stehen Aufgaben wie die Vernetzung von Datenbanken, Techniken und
Geheimdienstwissen, die gemeinsame Aus- und Fortbildung von GrenzbeamtInnen,
die Koordination von Sammelabschiebungen, die Verhandlung von Rücknahmeabkommen,
sowie die „Verbrechensprävention“ im Vordergrund.
Frontex hat im Moment nur etwa 200 MitarbeiterInnen und arbeitet
im Jahre 2008 mit einem noch verhältnismäßig geringen, aber
stark wachsenden Budget von etwa 70 Mio Euro (2005: 4 Mio). Kern ist also
die intensive Zusammenarbeit mit nationalen Institutionen, wie in Deutschland
z.B. BND, Bundespolizei, Bundeswehr u.a.
Problematisch sind dabei ganz unterschiedliche Punkte:
•
Durch die Vernetzung des Grenzschutzes wird es für MigrantInnen
erheblich schwieriger, nach Europa zu gelangen
•
Ab Juni arbeitet Frontex offiziell mit UNHCR und IOM zusammen.
Die Organisation legitimiert sich als Flüchtlingsschutz- und
Menschenrechtsinstitution, ist aber gleichzeitig dafür zuständig,
dass MigrantInnen erst gar nicht den Weg nach Europa finden können
und unterwegs sterben.
•
(Sammel-)Abschiebungen werden durch die Koordination und durch
zentral ausgehandelte Rückführungsabkommen leichter und
von der Öffentlichkeit verborgen durchführbar. Es werden
immer mehr Flüchtlinge in Länder abgeschoben, aus denen
sie nicht kommen, weil dorthin eben gerade ein Platz in der Sammelabschiebung
frei ist
•
Frontex ist eine der EU-Kommission unterstellte Organisation und
extrem schwierig demokratisch kontrollierbar
•
Die Vernetzung von innerer (Polizei) und äußerer Sicherheit
(Militär) widerspricht dem deutschen Grundgesetz ebenso wie
die Vermittlung von Geheimdienstwissen an exekutive Kräfte
•
Die Sicherheits-Industrie (z.B. Wärmebildkameras, biometrische
Datenerkennung, etc) hat Zugriff auf nicht-veröffentlichte
Studien von Frontex
•
Durch ein System des „integrated border management“ (Vernetzung
von Aktivitäten in Konsulaten, an der Grenze und in Drittstaaten)
und die Kooperation mit Sicherheitsdiensten der Anrainerstaaten
wird de facto die EU Außengrenze z.B. in die Sahara verschoben
•
Im Frontex-Jargon wird kaum ein Unterschied zwischen MigrantInnen
und VerbrecherInnen gemacht, was zur Folge hat, dass in der öffentlichen
Meinung alle MigrantInnen als Menschen dargestellt werden, gegen
die Verbrechensprävention betrieben werden muss.
In Nordafrika sind erste Auswirkungen von Frontex zu spüren.
Nicht nur gibt es inzwischen Visumspflicht für afrikanische
Länder, die Grenzen werden auch gründlicher überwacht
und die Polizei ist besser ausgerüstet. Beihilfe zum illegalen
Aufenthalt ist in vielen Ländern unter Strafe gestellt worden,
und so zeigen sich viele Menschen aus Angst vor Strafen und Denunziation
immer weniger solidarisch mit den MigrantInnen. Europäische
Länder zeigen inzwischen in einigen westafrikanischen Ländern
schon Werbefilme im Fernsehen, in denen die Gefahren von Migration
aufgezeigt werden und dringlichst davon abgeraten wird, sich auf
den Weg Richtung Europa zu begeben.
Trotz aller Migrationsabwehr braucht Spanien beispielsweise neue
MigrantInnen für seine Landwirtschaft. Ein neuer Ansatz ist
der der „zirkulären Migration“. So gibt es nun
in einzelnen nordafrikanischen Ländern „Job Centres“,
die v.a. Frauen mit Kindern unter 14 Jahre suchen, um diese drei
bis sechs Monate zum Erdbeerpflücken nach Spanien zu holen.
Die Kinder müssen natürlich zuhause bleiben. Das Gehalt
der Frauen (etwa 25 Euro/Tag) wird ihnen durch die Job Centres
wieder in der Heimat ausbezahlt. Für diese Art der Arbeitsvermittlung
hat sich in Marokko der Begriff „Cleenex migration“ entwickelt: „benutzen
und wegwerfen“.
Aber es regt sich Widerstand. Im Frühjahr dieses Jahres gab
es in Mali die erste große Konferenz von West- und NordafrikanerInnen,
die entweder an Grenzkontrollen bei der Einreise in die EU gescheitert
sind oder aus der EU abgeschoben worden sind. Zusammen mit AktivistInnen
aus Europa versuchen sie, die direkten und indirekten Auswirkungen
der EU-Politik sowie Frontex-Operationen zu dokumentieren und politischen
Widerstand zu organisieren.
Zum Weiterlesen:
http://www.imi-online.de/download/FRONTEX-Broschuere.pdf
http://no-racism.net/article/2524 (Appell von Bamako)
http://uk.youtube.com/watch?v=WyH3UMiWcRY
(Anti-Migrations Werbung)
http://www.noborder.org/crossing_borders
(Newsletter zum Thema EU Grenzen)
>>zurück zur Übersicht?
|