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Prozess gegen humanitäre Flüchtlingshilfe
Nr. 15: April 2007 >>zurück zur Übersicht?

Seit Ende November 2006 stehen Elias Bierdel (der frühere Vorsitzende der humanitären Hilfsorganisation Cap Anamur), Stefan Schmidt (der Kapitän des Schiffes »Cap Anamur«) und Vladimir Daschkewitsch (der 1. Offizier) in Italien vor Gericht. Ihr Vergehen: Sie hatten im Juli 2004 im Mittelmeer 37 afrikanische Flüchtlinge vor dem Ertrinken gerettet und versucht, sie in Sicherheit zu bringen.Die »Cap Anamur«, die humanitäre Hilfsgüter nach Westafrika liefern sollte, war auf ihrer Fahrt im internationalen Gewässer auf die afrikanische MigrantInnen in Seenot gestoßen und hatte sie aufgenommen – wozu sie übrigens nach internationalem Seerecht sowie nach deutschem Recht verpflichtet war. Die Flüchtlinge waren bereits seit drei Tagen in einem defekten Schlauchboot unterwegs, ihre Trinkwasservorräte waren erschöpft und sie hatten die Orientierung verloren.

Die Besatzung bat die italienischen Behörden daraufhin um Erlaubnis, die nahe gelegene Insel Lampedusa anzulaufen. Von der italienischen Hafenbehörde wurde diese Erlaubnis jedoch – auf Befehl der italienischen Regierung - verweigert. Zwei Wochen lang saß die »Cap Anamur« mit Besatzung und Flüchtlingen auf See fest, während ihr Fall die Politik bewegte: der damalige Bundesinnenminister Otto Schily und sein italienischer Amtskollege Beppe Pisano erklärten am Rande einer EU-Innenministerkonferenz in Sheffield, es gehe nun darum, »einen gefährlichen Präzedenzfall zu verhindern«. Immer wieder wurde die »Cap Anamur« von Aufklärungsflugzeugen überflogen oder von Kriegsschiffen umkreist (s. Foto).

Nachdem einige der MigrantInnen die Situation nicht mehr ertragen konnten und mit Selbstmord drohten, erklärte der Kapitän den Notstand und verlangte die ultimative Einfahrt in den Hafen. Diese wurde schließlich gewährt; nach der Landung jedoch wurde der Großteil der Flüchtlinge sofort festgenommen und via Abschiebelager nach Nigeria und Ghana »zurückgeführt« – ohne die Gelegenheit zu erhalten, einen Asylantrag zu stellen. Von einem der Flüchtlinge ist übrigens bekannt, dass er ein paar Monate später bei einem erneuten Versuch, Lampedusa über das Meer zu erreichen, ertrank.
Auch Elias Bierdel, Stefan Schmidt und Vladimir Daschkewitsch wurden wegen »Schlepperei« für einige Tage in Untersuchungshaft genommen, das Schiff als »Tatwerkzeug« beschlagnahmt. Mehr als zwei Jahre später begann nun der Prozess, der im ungünstigsten Fall zu 12 Jahren Haft führen könnte – wenn das Gericht zu dem Schluss kommt, dass organisierte, »bandenmäßige« (mindestens 3 »Täter«) Beihilfe zur illegalen Einreise in einem »schweren Fall« (mehreren Flüchtlingen wurde geholfen) vorliegt.

Eine Verurteilung zu einer längeren Haftstrafe hält zwar auch Elias Bierdel für unwahrscheinlich, er geht letztendlich von einem Freispruch aus – wofür auch der bisherige Verlauf des Prozesses spricht, da bisher alle Zeugen die »Schlepper« entlastet haben. Das Verfahren wird sich jedoch noch über Monate hinziehen – über 100 Zeugen sollen befragt werden, bei ein bis zwei Prozesstagen pro Monat.

Durch diesen Prozess soll offensichtlich ein Exempel statuiert werden, um humanitäre Hilfe zu verhindern. Das wird wahrscheinlich auch dazu führen, dass Schiffsführer (die zudem unter Geld- und Zeitdruck stehen) an sinkenden Flüchtlingsbooten vorbeifahren, weil sie wochenlangen Ärger und bürokratische Schikanen bis hin zu einer möglichen Verurteilung ins Auge fassen müssten.

Die Kriminalisierung humanitärer Hilfe flankiert so die Militarisierung der EU-Außengrenze, an der nationale Zoll- und Polizeieinheiten mit Hilfe von Aufklärungssatelliten, Radarstationen, Flugzeugen und Küstenwachtkreuzern versuchen, der »illegalen« Migration entgegenzutreten. Seit August 2006 beteiligt sich an dieser Aufgabe auch die EU-Grenzschutzbehörde FRONTEX, deren politischer Auftrag es ist, potentielle Einwanderer schon vor dem Erreichen der nationalen Hoheitsgewässer abzufangen und »zur Umkehr zu bewegen«. Das Resultat der Abschottungspolitik: 2006 war vermutlich das Jahr mit der höchsten Todesrate an den europäischen Außengrenzen und einem historischen Tiefstand bei den Asylgesuchen - in Deutschland wurden ca. 20 000 Anträge gestellt, das ist der niedrigste Stand seit 1977.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche (BAG) verabschiedete auf ihrer Jahrestagung im November 2006 eine Solidaritätserklärung: »Humanitäre Hilfe für Menschen in Not ist keine Straftat. Auf die Anklagebank gehören dagegen die Verantwortlichen für eine europäische Abschottungspolitik, die den Tod ungezählter Bootsflüchtlinge herbeiführen und in Kauf nehmen. Es darf keine europäische Handlungsoption sein, Flüchtenden mit militärischen Mitteln zu begegnen.

Wir fordern die Einstellung jeglicher deutschen Beteiligung an militärischen Aktionen auf See, die das Leben von Flüchtlingen gefährden.

Wir fordern die sofortige Einstellung des Verfahrens gegen Elias Bierdel, Stefan Schmidt und Vladimir Daschkewitsch!”


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