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Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Berlin
Nr. 13: Oktober 2005 >>zurück zur Übersicht?

Kriege und Verfolgungen machen auch vor Kindern und Jugendlichen nicht Halt. Einigen Tausend von ihnen gelang die Flucht in die Bundesrepublik Deutschland. Wievielen nicht, weiߟniemand, so wie noch nicht einmal bekannt ist, wieviele allein fliehende Kinder an der EU-Außengrenze wegen Formalitäten (fehlendes Visum, sicherer Drittstaat u.ä.) zurückgewiesen wurden.

Die, die es in die Bundesrepublik geschafft haben, sind meist über eine Stadt mit internationalem Flughafen oder Hafen gekommen, z.B. über Berlin. Hier durchlaufen die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge nach ihrer Ankunft in der für ganz Berlin zuständigen Erstaufnahmeeinrichtung ein Clearingverfahren, in dem ihr Alter festgestellt werden soll, ein Vormund bestellt bekommen und entschieden wird, wo und wie sie untergebracht werden.

Besonders problematisch sind hierbei die Verfahren der Altersfeststellung und die Ausgestaltungen der Vormundschaften. Bis vor wenigen Jahren wurde das Alter der Jugendlichen durch eine Röntgenaufnahme ihrer Handwurzelknochen bestimmt. Die Methode geriet wegen ihrer Ungenauigkeit und wegen ihrer unnötigen gesundheitlichen Belastung der Jugendlichen in Kritik und wurde in Berlin durch das Verfahren der Inaugenscheinnahme ersetzt. Für die Inaugenscheinnahme gibt es jedoch keine allgemein anerkannten Standards, die eine gewisse Zuverlässigkeit des Verfahrens gewährleisteten. Viel mehr bedeutet Inaugenscheinnahme, dass sich die Jugendlichen unabhängig von ihrem kulturellen oder gar individuellen Hintergrund vor einer ihnen unbekannten Person ausziehen müssen, die dann u.a. auf Grund des Entwicklungsstandes ihrer sekundären Geschlechtsmerkmale ihr Alter schätzt. Wohl nicht zufällig werden immer wieder Fälle bekannt, bei denen Jugendliche älter - d.h. meist: als über 16jährig - geschätzt werden. Nach § 12 AsylVfG gelten Minderjährige, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, in asylrechtlichen Dingen als selbstständig handlungsfähig. In der Rechtsprechung wurde daraus oft eine allgemeine Volljährigkeit, so dass denen, die älter als 16 sind, keine altersgerechte Betreuung mehr gewährt werden muss, das heißt die Unterbringung in einer Jugendhilfeeinrichtung, in der sie von Sozialpädagogen oder Erziehern in ihren Belangen unterstützt werde. Bei unter 16jährigen unbegleiteten Flüchtlingsjugendlichen besteht automatisch ein „Jugendhilfebedarf“, bei den Jugendlichen zwischen 16-18 entscheidet das Jugendamt. Wird kein „Jugendhilfebedarf“ festgestellt, bleibt nur noch der Weg durch das reguläre Asylverfahren unter gleichen Bedingungen wie Erwachsenen mit seinen vielfältigen Beschränkungen offen steht. Diese Jugendlichen werden in Gemeinschaftsunterkünften zusammen mit erwachsenen Asylbewerbern untergebracht und haben kein Recht auf pädagogische Betreuung, schulische Förderung oder Jugendhilfeleistungen, die immerhin etwas höher sind als der um fast 40% gekürzte Sozialhilfesatz, der erwachsenen Asylbewerbern zusteht. Bis Mai diesen Jahres war das Jugendamt jedoch trotzdem verpflichtet, diesen Jugendlichen weiter Beratung anzubieten. Inzwischen fällt dies in die Verantwortung der JobCenter, die eigentlich für HartzIV-Empfänger zuständig sind.

Für alle unter 18jährigen unbegleiteten Jugendlichen wird ein Vormund bestellt. Der Vormund hat das Recht und die Pflicht, sein Mündel zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen, seinen Aufenthalt, d.h. die Art seiner Unterbringung zu bestimmen und in Angelegenheiten seiner Ausbildung zu fördern. Er ist für das Vermögen seines Mündels verantwortlich und vertritt das Kind in juristischen Dingen. Bei den unter 16jährigen, die noch nicht verfahrensmündig sind, liegt die Entscheidung, ob ein Asylantrag gestellt wird, und die Verantwortung dafür, wie das Asylverfahren betrieben wird, beim Vormund. Sämtliche Erziehungsaufgaben gibt der Vormund an Jugendhilfeeinrichtungen weiter, so dass die Aufsichtspflicht etc. faktisch bei den Betreuern liegen. Für die meisten (fast 80%) der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge ist der Vormund ein Amtsvormund, da sie keine Verwandten in der Budesrepublik haben und sich auch nicht genügend Einzelpersonen finden, die die Verantwortung für eine Vormundschaft übernehmen wollen. Während jedoch ein Vormund, der zehn oder wenig mehr deutsche Mündel betreut bzw. mehr als 20 Stunden in der Woche als Vormund tätig ist, als "Berufsvormund" gilt, gab es 2001 für etwa 500 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Berlin nur 5 Amtsvormünder. Der Berliner Senat begründete 1996 einen vergleichbaren Zustand (damals waren für 1700 unbgleitete minderjährige Flüchtlinge zwei Amtsvormünder eingestellt) zynischerweise damit, dass er sich hinsichtlich der vom Bundesgesetz geforderten Beschleunigung des Asylverfahrens bewährt habe. Angesichts solcher “Bewährung” verwundert es nicht, dass ein großer Teil der Jugendlichen ihren Vormund gar nicht kennen. Erwähnt sei jedoch, dass selbst der Migrationsbeauftragte des Berliner Senats darauf hingewiesen hat, dass es in Berlin AKINDA - ein Netzwerk ehrenamtlicher Vormünder, durch das zur Zeit ca. 120 junge Flüchtlinge einen Einzelvormund haben - gibt, deren engagierte Arbeit für die Mündel besser als eine Amtsvormundschaft sei.

Nähere Infos zu AKINDA gibt es im Internet unter http://www.xenion.org/projekt/akinda.html. Dort, oder auch bei uns könnt ihr nähere Informationen über die Übernahme einer Vormundschaft bekommen.

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