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Woher
kommst du?
Nr. 12: April 2005
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Als
das Buch Le rasisme expliqué à ma fille [Rassismus, meiner
Tochter erklärt] von Tahar ben Jelloun im Jahr 2000 auf dem deutschen Buchmarkt
erschien, geschah das unter dem harmlos klingenden Titel Papa, was ist ein Fremder?
Diese Transformation von Rassismus zu Fremdheit ist sicher kein übersetzungstechnischer
Zufall, sondern symptomatisch für eine in Deutschland herrschende Tendenz.
Auch wenn in linken Gruppierungen die Rede vom anti-rassistischen Kampf umgeht
oder die Redewendung »Du Rassist!« zu einem unter Schülern durchaus
gebräuchlichen Bestand an Schimpfwörtern gehört – im Allgemeinen
erfreut sich das Wort Rassismus keiner Beliebtheit, ja es scheint deutlich tabuisiert.
(Ein positives Gegenbeispiel bietet die Broschüre »Rassismus hat viele
Gesichter«, die 2001 von Pro Asyl herausgegeben wurde.) Lieber als von
Rassismus wird von Ausländer- oder Fremdenfeindlichkeit gesprochen, nicht
selten gar von Fremdenangst. So heißt es in einem Interview mit W. Heitmeyer,
dem Leiter einer Langzeitstudie zum Thema »Fremdenfeindlichkeit«: »Der
klassische Rassismus, also das, was über Hautfarbe etc. artikuliert wird,
nimmt eher ab, aber die auf Konkurrenz basierende Fremdenfeindlichkeit nimmt
deutlich zu.« Besonders Frauen aus Ostdeutschland, so heißt es in
dem Interview weiter, hätten häufig Angst vor »Fremden und Muslimen« (taz,
3. Dez. 2004.)
Ausgeblendet wird mit solchen Formulierungen, dass das Problem des Rassismus
nicht gleichzeitig mit dem Begriff der »Rasse« seine Relevanz verloren
hat. Die Überzeugung, dass Menschen qua Natur einer anderen »Rasse« angehören,
mag selten geworden sein. Dass aber »Rassismen« weiterleben, zeigt
sich immer da, wo Menschen zu einer einheitlichen, als minderwertig betrachteten
Gruppe zusammengefasst und entsprechend einer staatlich verordneten diskriminierenden
Sonderbehandlung (Stichwort Residenzpflicht, verdachtsunabhängige Polizeikontrollen,
Lebensmittelpakete) unterworfen werden. Hier kann mit gutem Grund von einem strukturellen
Rassismus gesprochen werden. Rassismus ist aber auch da vorhanden, wo Menschengruppen
aufgrund ihrer sozio-kulturellen Prägung die »Integrationsfähigkeit« abgesprochen
wird. Hier ist der Begriff des kulturellen Rassismus angebracht.
Wie auch immer genannt, nicht zu vergessen ist, dass hinter rassistischem Verhalten
sehr häufig auch ökonomische Interessen stehen. So wurden z.B. die
finanziellen Kürzungen im Asylbewerberleistungsgesetz u.a. damit begründet,
dass die entsprechenden Bewerber in ihrem »Heimatland« ja auch deutlich
weniger Mittel zur Verfügung haben würden als Bio-Deutsche (die sich über
eine deutsche Abstammung definieren.) in Deutschland – ergo: können
sie auch hier ein bisschen hungern... (Vgl. auch hier die Broschüre »Rassismus
hat viele Gesichter«, S.16.)
Wie aber verhält es sich nun mit dem individuellen Rassismus jedes Einzelnen?
Wie kommen wir los von den Stereotypen in unseren Köpfen, die sich uns eingebrannt
haben und die auch, oder gerade dann, aktiviert werden, wenn wir sie loszuwerden
versuchen? Was passiert in meinem Kopf – und was in dem meines dunkelhäutigen
Gegenübers – wenn ich einen Menschen auf einer Party frage, woher
er kommt und wie lange er hier (»bei uns«) bleiben will? Ist das
eine »normale Frage« oder nicht schlichtweg eine rassistische, weil
ich schon zu wissen meine, dass er »kein Deutscher« ist und ihn also »ganz
spontan« auf sein äußeres »fremdes« Erscheinungsbild
festgelegt habe?
Eigenes Schauen, Denken und Handeln als rassistisch zu erkennen und zu benennen,
ist unangenehm, bleibt aber die einzige Möglichkeit, nicht den oder die »Fremde« als
Problem auszumachen, sondern unsere eigenen Konstruktionen vom »Fremden«.
Die Forderung von Tahar ben Jellouns Tochter, an uns selbst gestellt, bleibt
somit wegweisend: Erklär mir (meinen eigenen) Rassismus.
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