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Ausbau der Festung Europa
an der europäisch-afrikanischen Grenze
Nr. 12: April 2005 >>zurück zur Übersicht?

Das Wort »Begrüßungszentren« ist im letzten Jahr unter die Unwörter des Jahres geraten und hat daraufhin erneut für Wirbel gesucht. In den Medien geistern in der letzten Zeit wiederholt verschiedene Begriffe wie »Off shore Lager«, »Transit Processing Centres« oder »Auffanglager« herum. Was ist in den letzten Jahren passiert? Wie kam es zu diesen Konzepten und wer macht mit ihnen Politik?

Anfang der neunziger Jahre sorgten die ersten »boat people« an den südeuropäischen Küsten für Aufmerksamkeit. Sie wurden in Italien und Spanien von der Bevölkerung im wesentlichen freundlich empfangen, versorgt und teilweise in die lokalen Gemeinden integriert. Aber schon bald wurden die ankommenden Menschen als »Illegale« stigmatisiert und mit Kriminalität in Verbindung gebracht. Im öffentlichen Diskurs tauchten Begriffe wie »Invasion«, »Migrantenflut«, »Welle«, »Lawine«, sowie andere Assoziationen mit Krieg und Umweltkatastrophen auf. Gleichzeitig wurden in Südspanien die ersten Lager eröffnet und ankommende MigrantInnen interniert. Durch die Überwachung der EU-Außengrenzen wurde begonnen, das politische Konzept der Festung Europa umzusetzen.

In den letzten zehn Jahren ist diese Entwicklung jedoch weiter vorangetrieben worden. An den EU-Südgrenzen werden diverse Kontrolltechniken wie Nachtsichtgeräte und Wärmekameras angewendet. Gleichzeitig werden Drohnen und eine neue Radartechnik zur vollständigen Überwachung des Mittelmeerraumes getestet. Durch die gute Überwachung an bisherigen Überfahrtsstellen (Gibraltar, Lampedusa, u.a.) müssen die kleinen Holzboote in gefährlichere Gewässer ausweichen und es kommt vermehrt zu tödlichen Unfällen auf hoher See.

Die EU hat verstärkt Druck auf nordafrikanische Staaten ausgeübt, ihre eigenen Grenzen schärfer zu überwachen und »boat people« erst gar nicht in Richtung Europa ablegen zu lassen. Dabei unterstützt sie die Maghrebstaaten personell sowie mit technischer Ausstattung. Damit wird die europäische Grenze de facto an die nordafrikanische Küste vorverlegt.
Für MigrantInnen wurde es zunehmend schwerer, bis nach Europa weiterzureisen. Durch die stärkeren Kontrollen der Seewege blieben und bleiben MigrantInnen aus dem subsaharischen Afrika mehr und mehr in Nordafrika hängen. Die Stimmung gegen SchwarzafrikanerInnen schlug v.a. in Libyen und Marokko Ende der neunziger Jahre um, und seit 2000 gab es in diesen Ländern wiederholt Pogrome. Schwarzafri-kanerInnen werden auch durch schärfere Kontrollen im Maghreb selbst in den Untergrund abgedrängt. Seit 1996 hat Libyen, gefolgt von seinen Nachbarstaaten, Lager für ankommende MigrantInnen eingerichtet. Anzahl, Kapazität und Ort der meisten dieser Lager werden geheim gehalten. Es sind nur wenige bekannt. Diese haben je eine Kapazität von mehreren tausend Plätzen - unter katastrophalen Bedingungen.
Die bereits existierenden Lager sollen nach neuer EU-Politik in deren Lagerpläne eingebettet werden. 2003 formulierte Tony Blair die »new vision for refugees«. Der Plan beinhaltet einen Ring von Lagern um die EU herum. Lager für ankommende MigrantInnen, aufgegriffene »boat people« und aus der EU Abgeschobene. Der Gedanke dahinter ist, dass MigrantInnen nicht mehr bis Europa kommen und möglichst sogar in den Herkunftsregionen bleiben sollen. In diesen Lagern sollen die BewohnerInnen einem kurzen Screening unterzogen werden, es soll Kollektivverfahren geben und Massenabschiebungen in Herkunftsländer. Ein »creaming«, zu deutsch »Absahnen«, behält sich die EU jedoch vor, nach festgelegten Quoten und eigenem Ermessen dürfen ausgewählte und »brauchbare« MigrantInnen in die EU weiterreisen. Die EU will quasi rechtsfreie Räume schaffen, und, indem sie der »International Organisation for Migration« die Organisation der Lager überträgt, sich aus der Verantwortung ihrer menschenunwürdigen Politik stehlen. Die Pläne werden immer noch diskutiert, sind aber teilweise in der Europäischen Kommission schon beschlussfähig. Otto Schily ist einer der Vordenker dieser Politik und vertritt sie mit dem Argument, dass diese Auffanglager für die Betroffenen humaner seien als das Ertrinken im Mittelmeer.

In den letzten Jahren ist noch ein weiterer Trend erkennbar. Europäische Staaten arbeiten im militärischen und wirtschaftlichen Bereich verstärkt mit nordafrikanischen zusammen. Nordafrika wurde als neuer Rohstofflieferant entdeckt. Durch seine Privatisierung von Staatsbetrieben und die Öffnung für ausländische Investitionen ist Libyen in dieser Entwicklung Vorreiter. 2004 war alleine Berlusconi viermal in Libyen, Blair und Schröder waren ebenfalls dort, begleitet von Wirtschaftstrupps. Im Oktober vergangenen Jahres wurde die größte Mittelmeer-Pipeline zwischen Libyen und Italien eingeweiht. In der gleichen Woche begann Italien mit den ersten Massenabschiebungen in libysche Lager. Hier lässt sich eine Kontinuität in der europäischen Politik seit der Kolonialzeit erkennen: Rohstoffe werden aus anderen Ländern abgezogen, während Menschen aus denselben Ländern abgelehnt werden.
Die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen diesseits und jenseits des Mittelmeeres lässt sich auf den Slogan »Waffen gegen Öl« reduzieren. EU-Staaten haben in den letzten Jahren v.a. diverse Kontrolltechniken verkauft. Damit sollen auf der einen Seite europäische Investitionen sowie Ergas- und Erdölvorkommen abgesichert werden, auf der anderen Seite die Migration nach Nordafrika gestoppt werden. Italien und Libyen haben schon ein Grenzüberwachungsabkommen geschlossen, das nicht nur die gemeinsame Überwachung der 2000km langen Küste Libyens, sondern auch die internationalisierte Überwachung der 4000km langen Binnengrenzen Libyens vorsieht. Vordenkern dieser Entwicklung schwebt der Aufbau eines »zweiten Abwehrrings« um Europa in der Sahara-Sahel-Zone vor.

Im Februar 2005 fand parallel zur jährlich stattfindenden Sicherheitskonferenz in München die »Finanzierungskonferenz zur Region Nordafrika Mittelost« des Bundesverbandes der deutschen Industrie und deutschen Bankenverbands statt. Dort wurden erneut militärische, sicherheitspolitische und wirtschaftliche Interessen verknüpft und Pläne debattiert.
Die aktuellen Entwicklungen zeigen deutlich: Machthaber nördlich und südlich des Mittelmeers hätten die MigrantInnen am liebsten in ihren Herkunftsländern. Teilweise kann die Zusammenarbeit zwischen europäischer und lokaler Polizei in einzelnen Ländern schon Erfolge verbuchen. In Sierra Leone und im Senegal beispielsweise sind Flüchtlingsschiffe wiederholt erfolgreich am Ablegen gehindert worden.

Quellen:
Dietrich, H.: Die Front in der Wüste. Forschungszentrum Flucht und Migration Berlin 2004.
Gunßer, C.: Europäische Flüchtlingsabwehr und Lagerpläne. Flüchtlingsrat Hamburg 2004.


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