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»Unsicherheit, die krank macht«
Nr. 11: November 2004 >>zurück zur Übersicht?

Elisabeth Reese berät in der Asylberatungsstelle von Asyl in der Kirche Flüchtlinge in den Bereichen Aufenthaltsrecht und Sozialrecht. In die Beratungsstelle kommen auch Asylbewerber, meistens jedoch Geduldete aus dem ehemaligen Jugoslawien, aber auch Palästinenser aus dem Libanon, Kurden und andere. Auch Ramiz war bei ihr in Beratung. Um uns selbst und auch die Interessierten unter euch mehr über die Lage von Leuten wie ihm zu informieren, haben wir Frau Reese um ein Interview gebeten.

Was wurde bei der Innenministerkonferenz (IMK) bzgl. Traumatisierter beschlossen? Und für wen gilt die Regelung genau?

Diese Regelung wurde zunächst einmal nur für Flüchtlinge aus Bosnien beschlossen. Sie beinhaltet, dass diejenigen, die aufgrund der Bürgerkriegsereignisse in Bosnien traumatisiert sind, Bleiberecht kriegen, wenn sie sich bis zum 1.1.2000 deshalb in Behandlung begeben haben. Für Kosovo sieht das etwas anders aus: da wurde nicht eine Gruppenregelung beschlossen, sondern nur eine Einzelfallprüfung angeregt. Dabei besteht der Unterschied darin, dass bei den Bosniern ausdrücklich in der Regelung steht, dass es nicht schadet, wenn sie Sozialhilfe beziehen. Das steht für Menschen aus dem Kosovo nicht drin.

Wie wird der IMK-Beschluss in Berlin umgesetzt?

Das ist ein schwieriges Kapitel. Dieser Beschluss der Innenministerkonferenz ist jetzt bald vier Jahre alt. In allen anderen Bundesländern ist dieses Kapitel längst abgeschlossen; in Berlin nicht, weil es viele Schwierigkeiten gegeben hat. Zu Anfang mit Nachprüfungen durch polizeiärztliche Dienste. Dann hat die Ausländerbehörde den Beschluss konterkariert, indem sie Atteste nicht akzeptieren wollte und man immer wieder bei der Senatsverwaltung vorsprechen musste, um dieses und jenes zu klären. So hat sich das sehr, sehr lange hingezogen auf dem Rücken der Leute ­ und man kann sich ja vorstellen, wie sich das auswirkt. Wir haben hier Flüchtlinge gehabt, bei denen eine Ablehnung zu einem stationären Aufenthalt geführt hat.

Was haben Sie für Erfahrungen mit dem Berliner Verwaltungsgericht gemacht?

Das kam immer darauf an, bei welchen Richtern der Fall landete. Leider ist das so. Es gibt Richter, die alles sehr sorgfältig prüfen und sich an die Vorgaben halten. Und es gibt andere, die damit sehr hart umgehen.

Gab es für die Sachbearbeiter in der Ausländerbehörde Weisungen, sich so ablehnend zu verhalten?

Laut offiziellen Weisungen nicht. Aber man hat immer wieder nach Möglichkeiten gesucht, um den IMK-Beschluss zu torpedieren. Das war ganz eindeutig.

Verhindert die Ausnahmeregelung für Traumatisierte nicht die Gesundung, wenn es heißt: »Sobald du gesund wirst, musst du zurück«?

Das stimmt nicht, sie müssen nicht zurück, wenn sie gesund sind. Was die Gesundung verhindert, ist die lange Dauer der Bearbeitung, weil die Menschen in einem völlig unsicheren Status gehalten werden. Aus therapeutischer Sicht wäre es bei dieser Erkrankung gut, wenn Traumatisierte sobald wie möglich einen sicheren Status hätten und z.B. auch arbeiten könnten, um wieder ins Leben zu finden. Eine »Gesundung« führt allerdings nicht dazu, daß sie zurückkehren müssen. Wenn sie die Aufenthaltsbefugnis einmal aus Krankheitsgründen erhalten haben, wird diese auch dann verlängert, wenn sie nicht mehr in ärztlicher Behandlung sind. Der bessere Aufenthalt hier und diese Sicherheit könnten sogar bei einzelnen viel eher dazu führen, zurückzugehen, als diese ständige Unsicherheit, die krankmachend ist. Es wurde aber auch mal in einer Gerichtsentscheidung argumentiert, dass Traumatisierte hier nicht gesund würden, sondern erst zuhause. Aber wie gesagt, es widerspricht allem: es widerspricht dem, was in IMK-Beschlüssen steht, und es widerspricht auch allem, was Therapeuten sagen.

Merkt man es Menschen an, wenn sie traumatisiert sind?

Ansehen kann man es nicht, aber man kriegt es im Gespräch mit. Es kommt natürlich darauf an, wie man die Gespräche führt. Aber wenn man das nicht beschränkt auf irgendwelche Fragen wie »hast du einen Pass«, »hast du dies, hast du das«, sondern das Gespräch so laufen lässt, dass sie anfangen zu erzählen, merkt man ziemlich schnell, dass irgendetwas ist. Was genau das ist, können wir natürlich nicht diagnostizieren. Deshalb haben wir Flüchtlinge dann zu Therapeuten geschickt, wenn uns etwas aufgefallen ist. Zum Beispiel einer, der einfach nicht mehr sprechen konnte. Da war es ganz offensichtlich. Wir können nur eine Art niedrigschwellige Betreuung machen, was bedeutet, daß die Menschen hierher kommen, nicht, weil sie ein Problem mit der Ausländerbehörde haben, sondern weil sie sich aussprechen müssen.

Glauben Sie, dass Flüchtlinge die Traumatisiertenregelung auch strategisch einsetzen?

Es gibt immer einen geringen Prozentsatz von Leuten, die versuchen, damit durchzukommen. Mit dem sogenannten Missbrauch ist auch lange Zeit argumentiert worden. Ich würde sagen, der Prozentsatz ist so gering, dass man damit leben kann. Das ist ja bei Asylverfahren genau so. Es gibt Leute, die alles fantastisch vorbringen können und wo kein Wort stimmt, die damit aber durchkommen. Während andere, die rumstottern, bei denen es viel eher angebracht wäre zu sagen: »ja, das erkennen wir an«, nicht durchkommen. So wird es hier auch sein. Aber ich denke, damit muss man und kann man leben. Wird sich in Berlin durch das neue Zuwanderungsgesetz etwas ändern? Nicht, dass ich wüsste, denn das Gesetz ändert ja nicht viel. Was sich mit Sicherheit ändern wird, ist die Grundlage für die Härtefallkommission. Bisher war es so, dass die Härtefallkommission gesetzlich nicht vorgesehen war. Es hat sie nur jahrelang gegeben. Da hat man immer versuchen müssen, ob sich trotz bisheriger Ablehnungen mit den vorhandenen Gesetzen doch noch ein Aufenthaltsstatus erwirken lässt. Das ist jetzt anders, weil ausdrücklich drinsteht, dass es auch möglich ist, wenn andere gesetzliche Vorschriften dem im Wege stehen. Das ist eine bessere Grundlage. Außerdem steht im neuen Zuwanderungsgesetz, dass diejenigen, die länger als 18 Monaten geduldet sind, und bei denen eine Abschiebung nicht abzusehen ist, statt einer Duldung eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen bekommen.

Sollte es eine Legalisierungskampagne in Deutschland geben?

Sicherlich, das hat man allerdings in Deutschland bisher noch nie hingekriegt. Wir haben über Jahre hinweg argumentiert, dass das in anderen Ländern durchaus möglich ist. Ich würde es wünschen, dass es klappt, doch ich glaube es nicht. Denn hier muss man nur das Wort »illegal« erwähnen und schon gehen alle Klappen zu.

Halten Sie die Arbeit von Grenzübertritte eigentlich für sinnvoll?

Natürlich ist sie sinnvoll, weil es eine Arbeit ist, die sonst nicht abgedeckt wird.

Was hat Sie in Ihrer Arbeit am meisten erschüttert?

Das kann ich kaum sagen, weil ich diese Arbeit schon so lange mache. Als ich anfing, hatte es wenig mit persönlicher Erschütterung zu tun. Es war eine rein politische Entscheidung; sie stammt aus der Zeit 68 und folgende. Ich hatte zu Anfang viel mit politisierten Studenten aus anderen Ländern zu tun: Türkei, Iran, Palästinenser. Daraus hat sich das entwickelt. Es ging um aufenthaltsrechtliche Fragen. Erst später kamen diese asylrechtlichen Fragen dazu. Da lag schon eine lange Zeit davor: z.B. die ersten Familiennachzüge zu sogenannten Gastarbeitern, die zunächst nicht genehmigt wurden.

Woher nehmen Sie die Kraft, immer wieder gegen die Mühlen der Bürokratie zu kämpfen?

Wenn man eine bestimmte Grundeinstellung hat, bestimmte Wertvorstellungen, die auch festgelegt sind, - das sind ja nicht nur meine privaten, das sind Menschenrechte, Verfassungsrechte - dann gehört es auch zum eigenen Leben dazu, sich zu wehren, wenn man sieht, dass die nicht eingehalten werden. Da braucht man gar keine besondere Kraft. Das gehört einfach dazu.
 

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