Startseite
Aktuelles
Über uns
Publikationen
Migration
Rollenspiel
Glossar
Links
Literatur
Kontakt
Wo liegt eine Wahrheit von Darfur?
Nr. 10: Juli 2004 >>zurück zur Übersicht?

»Die Wahrheit ist das erste Opfer des Krieges«, hörten wir oft zum Irak-Krieg. Wenn in Massen sterbende Afrikaner keine Nachricht wert sind, dann besteht für Armeen kein Grund, ein systematisches Morden und Vertreiben zu kaschieren oder irgendwelche Motive zu erfinden. Sie machen einfach weiter. Ein Krieg in Afrika erscheint erst nach dem großen Sterben in der Medienöffentlichkeit, nicht vorher. Die westsudanesische Region Darfur war die letzten zehn Jahre geprägt von schlechten Ernten, miserablen Verkehrsanbindungen, einer jährlich sechs Kilometer wachsenden Wüste und nicht zuletzt von der Teile-und-herrsche-Strategie der Zentralregierung seit ihrem Putsch 1989. Arabische Nomadenstämme, mit Geld und Waffen aus Karthum unterstützt, haben die einheimische schwarzafrikanische Bevölkerung attackiert und vertrieben. Anfang der 90er Jahre wurden etwa 3000 Zivilisten der »Ethnie« Fur getötet, eine weitaus größere Anzahl von ihren angestammten Plätzen vertrieben. Einige Jahre später erlitten die Massalit das gleiche Schicksal. Im Februar 2003 griffen Rebellen der Sudan Liberation Army (SLA) und des Justice and Equality Movement (JEM) der Region Darfur staatliche Institutionen an. Es wird berichtet, dass die Rebellen am 25. April 2003 beim Angriff des Flughafens der regionalen Hauptstadt Al-Fasher ungefähr 70 Regierungssoldaten töteten und Flugzeuge zerstörten. Von wem die Rebellen Unterstützung erhalten und wieweit ihre Aktivitäten ab 2003 mit den Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und der SPLA zusammenhängen, wird kaum in den Nachrichten thematisiert. Die SLA erklärte, dass die Angriffe ein Protest gegen das offensichtliche Versagen der Regierung beim Schutz der Dorfbewohner gegen Angriffe von Nomadengruppen und die Unterentwicklung und Marginalisierung der Region seien (www.amnesty-darfur.de). Während die Bekämpfung der Rebellen Nebensache ist, greifen die Janjaweed, arabische Milizen, in Zusammenarbeit mit der Regierungsarmee die Dörfer nach einem Muster syste-matischer Vertreibung an. Meistens werfen als erstes Hubschrauber oder Antonow-Flugzeuge der Regierungsarmee Metall-Schrapnell-Bomben über bevölkerten Punkten wie Märkten und Brunnen des Dorfes ab. Danach kommen die Janjaweed-Milizen, mit Pferden oder Kamelen beritten, oder mit Jeeps, und überfallen die Dörfer, separieren Männer und Frauen, exekutieren die Männer vor Ort oder etwas abseits, vergewaltigen die Frauen und Mädchen und vertreiben diese. Zuletzt werden die Häuser angezündet. Von diesem Muster systematischen Mordens und Vertreibens der schwarzafrikanischen Zivilbevölkerung in Darfur spricht ein Bericht des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte von April 2004. Er steht im Einklang mit Hunderten von Zeugenaussagen von Flüchtlingen, die Amnesty International im Tschad interviewt hat. Auf der ai-Homepage sind Dutzende von Massakern mit genauen Angaben zum Ort, zur Zeit, zur Anzahl sowie ein Dutzend Namenslisten der Exekutierten aus den einzelnen Dörfern aufgelistet. Die UN spricht von mehr als 10.000 Toten, 1 Million Flüchtlingen (displaced persons) und 300.000 vom Sterben bedrohten Menschen. Der Präsident des Sudan Liberation Movement, Dr. Waheed, spricht von 27.000 Toten, 2480 verbrannten Dörfern, die 93% der Region Darfur betreffen und 4 Millionen Flüchtlingen, von denen noch zwei Millionen in Darfur sind. Für ihn ist es eine »ethnische Säuberung zum Zwecke der Zwangsarabisierung«. Er präsentierte schockierende Videoaufnahmen von November 2003 wenige Minuten nach einem Angriff, die nur noch die brennenden Häuser und Lehmhütten, umherlaufende Menschen und ein wegfliegendes Flugzeug zeigten. In einem Nebensatz sagte er, er würde die Janjaweed gerne überzeugen, dass sie lediglich ein Werkzeug der Regierung seien. Die Regierung streitet jede Unterstützung der Janjaweed ab und spricht von einem »Banditenkampf« zwischen Nomaden und Bauern (FR 20.4.04). Als im Berliner Abgeordnetenhaus ein Diplomat der sudanesischen Botschaft mit den Verbrechen seiner Regierung konfrontiert wurde, insistierte er lediglich darauf, dass es sich laut einer UN-Funktionärin »nicht um die Ausmaße einer ethnischen Säuberung« handelte. Auch Kofi Annan sagte: »I cannot call the killing a genocide even though there have been massive violations of international humanitarian law« (dpa 17.6.04). Amnesty International beklagt, dass die Regierung bisher nicht einen einzigen Milizionär der Janjaweed vor Gericht gebracht hat. Anette Weber, früher bei Amnesty International, heute vom Ökumenischen Netzwerk Zentralafrika, war vor wenigen Wochen im Tschad und hat ca. 120 Flüchtlinge interviewt. Sie sagt, das größte Problem sind die Flüchtlinge, die nicht mehr Darfur verlassen können. Sie darben zu Zehntausenden im Umkreis der größeren Städte und sind von Janjaweed umzingelt. Wer flieht, wird erschossen. Genauso verhindern Janjaweed die Flucht in den Tschad oder greifen Flüchtlingslager im Tschad an. Der UN-Menschenrechtsbericht kam durch eine Indiskretion während der jährlichen Tagung der UN-Menschen-rechtskommission in Genf an die Öffentlichkeit. Die UN-Menschenrechtskommission beschloss daraufhin mit 50 Stimmen, einschließlich der Sudans, keine Resolution, sondern lediglich eine »Erklärung des Vorsitzenden«, die die Regierung in Khartum auffordert, das Vorgehen arabischer Milizen gegen schwarze Bewohner zu unterbinden und den Zugang zu Darfur nicht zu behindern (netzzeitung.de 23.04.04, taz u.FR 24.04.2004). Nach einem Treffen der G8 mit Regierungsvertretern sechs afrikanischer Länder am 10. Juni in Georgia/ USA, sollen mit Finanzierung der EU, ca. 100 Beobachter der African Union nach Darfur entsendet werden ­ das Gebiet ist so groß wie Frankreich (Agentur IPS 11.06.04). Über Monate hinweg wurde Hilfsorganisationen der Zugang nach Darfur verwehrt. Das Stellen von Bedingungen und die Kanalisierung von Hilfsgütern ist eine bewährte Verzögerungsstrategie der Regierung in den Bürgerkriegen Sudans, um zu vollendeten Tatsachen zu gelangen. So verlangt die Regierung die Verteilung der Güter durch lokale Organisationen und gewährt laut einem UN-Mitarbeiter nur zu 30% der Region Zugang (The Independent 16.06.04). Von den ca. 160.000 Flüchtlingen in Tschad werden zur Zeit ca. 80.000 durch das UNHCR notdürftig mit Hilfslieferungen versorgt (UNHCR 7.06.04). Zu den 2 Millionen Flüchtlingen in Darfur gibt es bisher anscheinend keine größeren Hilfslieferungen. Mit der in Kürze beginnenden Regenzeit verwandeln sich trockene Flussbette in 50 Meter breite Ströme, Bäume stehen dann bis zum Ansatz der Baumkrone im Wasser. »Straßen« sind in Darfur tatsächlich Reifenspuren im Boden der Steppe. Volker Riehl von Misereor spricht von der Vervierfachung der Kosten der humanitären Hilfe durch die Regenzeit. Auch bei diesem Bürgerkrieg herrschen verschiedene Wahrheiten, die der Rebellen, die der Regierung, die der Hilfsorganisationen etc. Zwischen Tschad und Darfur liegt eine von ihnen neben den verdursteten Kadavern der Rinder und Esel in der Wüste. Eine schwarze Frau, die auf der Flucht erschossen wurde (XXX-Agentur 2003/04).  

>>zurück zur Übersicht?