Startseite
Aktuelles
Über uns
Publikationen
Migration
Rollenspiel
Glossar
Links
Literatur
Kontakt
»Migration hat doch nichts mit Globalisierung zu tun...«
Nr. 9: Februar 2004 >>zurück zur Übersicht?

Unter dem Motto »für ein Europa der Rechte in einer Welt ohne Krieg« fand im November 2003 das zweite Europäische Sozialforum (ESF) in Paris statt. Neben Sozialabbau und Krieg war auch Migration als ein Schwerpunktthema angekündigt worden. Aber schon beim Durchblättern des Programms erkannte ich schnell, dass nur wenige Veranstaltungen zum Thema Migration angeboten wurden. Das Themenspektrum reichte von der Rechtssituation ethnischer Minderheiten und ausländischer Communities in Europa bis hin zu Menschenschmuggel und die Lebenssituation von Menschen ohne Papiere. Das Thema »Illegalität« nahm einen verhältnismäßig großen Platz des Schwerpunkts ein. Bei Diskussionen mit anderen Teilnehmern wurde ich öfters mit Meinungen wie »das ESF ist ein globalisierungskritisches Forum und Migration hat doch nichts mit Globalisierung zu tun« konfrontiert. Mehrere Organisatoren von Workshops erzählten, dass es sogar ein sehr schwieriges Unterfangen war, die Veranstalter des Forums davon zu überzeugen, dass Migration als Schwerpunktthema aufgenommen werden konnte. Die Aufnahme wurde demnach als Erfolg gefeiert. Leider kamen aber zu den bestbesuchtesten Plena und Seminaren zum Thema Migration kamen gerade einmal 150 bis 200 (von 55.000) Teilnehmer. Inhaltlich hingegen waren alle Veranstaltungen, die ich besucht habe, sehr interessant. Es ging einerseits um die repressive Politik, die europäische Staaten in Bezug auf Einwanderung betreiben, und andererseits um die soziale und politische Arbeit von NGOs. Auf den ­ meistens viel zu voll besetzten ­ Podien saßen Experten in ihren Bereichen. Wichtig für mich war aber auch, dass Einwanderern mit unterschiedlichem Status und unterschiedlichen Anliegen die Möglichkeit gegeben wurde, selbst das Wort zu ergreifen und die Diskussionen entscheidend mitzuprägen. Sehr positiv überrascht hat mich der hohe Grad an Organisation der Sans-Papiers Bewegung in Frankreich, sowie vergleichbarer Gruppen in Italien und Spanien. An dieser Stelle gibt es in Deutschland noch großen Nachholbedarf. Die Sans-Papiers sind national organisiert, haben ein funktionierendes Netzwerk, eine gemeinsame Hymne ­ und politische Erfolge. Auf ihren Druck hin wurden tausende Sans-Papiers »legalisiert«. Erreicht haben sie das durch langfristige politische Arbeit, Demonstrationen und Aktionen des zivilen Ungehorsams. Eine Aktion fand auch im Rahmen des ESFs statt. Vom »Zentrum gegen Globalisierung und Liberalisierung und für Aktionen des zivilen Ungehorsams« organisiert, besetzten rund 100 Teilnehmer des Forums ein Air France Büro an den Champs-Elysées. Weitere 400 Teilnehmer blockierten für rund 20 Minuten die große Boulevard und riefen Slogans wie »Pour tous les Sans-Papiers, les Papiers« und »No Borders ­ No Nations -­ Stop Deportations« auf verschiedenen Sprachen. Grund der Besetzung war der Tod eines afrikanischen Flüchtlings in einer Air France Maschine. Man forderte von dem Konzern, sich nicht mehr an Abschiebungen zu beteiligen und das Leben von Flüchtlingen an Bord zu schützen. Leider konnten die Sans-Papiers-Gruppen es nicht durchsetzen, für alle sichtbar den ersten Block der Abschluss-Demonstration zu stellen. Auch wurde der europaweite Aktionstag zum Thema Illegalität am 31. Januar 2004 nicht wie die Aktionstage gegen Krieg und Sozialabbau in die Resolution aufgenommen. Das war für mich die traurigste Erfahrung auf dem ESF, dass von höchster organisatorischer Seite aus für die Teilnahme und die Sichtbarkeit von Gruppen der Sans-Papiers-Bewegung immer wieder Steine in den Weg gelegt wurden. Ein afrikanischer Flüchtling hat das ganz gut auf den Punkt gebracht: »Migranten kommen nach Europa und bringen die Katastrophe mit, die die Europäer in den Herkunftsländern verursacht haben. Aber die globalisierungskritische Bewegung beschäftigt sich lieber »theoretisch« mit der Katastrophe dort, als »praktisch« mit den Auswirkungen der Katastrophe hier. Die Bewegung ist abgehoben und theoretisch und hat Angst vor einem Praxisbezug.«  

>>zurück zur Übersicht?