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Interview mit einem Illegalisierten:
In jeder Sekunde kann alles passieren...
Nr. 9: Februar 2004 >>zurück zur Übersicht?

Warum hast du dein Herkunftsland verlassen und bist nach Deutschland gekommen? Welche Erwartungen hattest du?

Ja, das war mit einem Vertrag, DDR und Mosambik hatten so einen Arbeitsvertrag, und dann kamen die Leute hierher, niemand wusste genau, was da zu tun ist. Ich dachte, dass ich gut ausgebildet werden würde, und irgendwas später noch besser machen könnte. Ich hatte schon eine Vorausbildung zuhause, ich bin hierher gekommen zu einer Weiterbildung sozusagen. Aber daraus wurde nichts.

Wolltest du hier bleiben?

Als ich kam, wollte ich zurück, ich habe sogar einen Antrag gestellt, um zurückzugehen, aber die haben mich nicht gelassen, denn ich sollte noch weiter machen. Ich hatte schon ein bisschen Erfahrung, die Deutschen wollten, wenn neue Kollegen kamen, dass ich die einarbeitete. Aber ich wollte unbedingt nach Hause zurück, die ersten vier Jahre waren schwer, ohne meine Familie, nur allein hier, telefonischer Kontakt war auch schwierig damals, das war zu teuer und das musste man hundertmal anmelden.

Wie ist es dazu gekommen, dass du jetzt illegal bist?

Tja, dass ich illegal bin... nach der ganzen Zeit, die ich hier war, 10 Jahre später, zum Ende des Jahres 90, da hatte ich mehr als acht oder neun Jahre keinen Urlaub gemacht, und bis Dezember musste ich Urlaub machen. Ich hatte einen Vertrag, der ging bis 93, ich hatte schon alles unterschrieben, dann musste ich in den Urlaub, und als ich da ging, da gab es bei uns die Wehrpflicht, jeder ab 18 bis 35 musste Wehrdienst bei uns leisten. Die haben mich dann dabehalten, ich konnte nicht mehr zurückkommen, ich musste diesen Dienst ausfüllen. Und dann, als ich nach meiner Entlassung hierher kam, wollten sie mich hier nicht mehr akzeptieren.

Wo ist der große Unterschied dazwischen, ob man Papiere hat oder nicht?

Wer Papiere hat, der hat viele Möglichkeiten, Bewegung, Arbeit, Arbeitsmarkt, Lernen oder Studium... der kann alles machen, der ist irgendwie freier. Ohne Papiere ist man ein Mensch, der lebt ohne Plan, man muss für sich selber was improvisieren, wie man sich sein Leben regeln will. Wenn was passiert, das ist alles stressig, stressig. Wenn du krank bist, kannst du nicht zum Arzt gehen. Wenn du nichts zu essen hast, musst du ­ das ist alles kompliziert. Wenn du keine Wohnung hast, dann ist es noch schlimmer. Ohne Papiere, das ist das schlimmste, was man erleben kann. Man hat nirgends eine Hilfe, obwohl manche Leute wollen, aber es ist immer schwierig, es geht manchmal nach Gesetzen auch, man kann nicht alles tun, man kann auch nicht jemand bei sich zuhause haben ein Jahr lang oder zwei oder drei Jahre, das geht auch nicht, das ist alles schwierig. Zum Beispiel gestern war ich spazieren, da war irgendwas passiert, da kam die Polizei, die Straßenbahn war aus, da mussten alle Leute stehen, die haben irgendwas gesucht, die haben das nicht erklärt. Wenn man keine Papiere hat, ist das eine schlimmste Zeit, du weißt nicht, bist du betroffen, holen sie dich ab? Das sind die Dinge, die so stressig sind. Das macht viele Leute krank.

Ist es möglich, sich daran anzupassen oder zu gewöhnen? Kannst du manchmal vergessen, dass du keine Papiere hast?

Nein, daran kann man sich nicht gewöhnen, das ist kein normales Leben. Man kann sich so einstellen, als ob man sich daran gewöhnt hat, aber das ist unmöglich. In jeder Sekunde kann alles passieren, daran kann man sich nicht gewöhnen, weil das ist nicht normal. Man lebt in einer Gemeinschaft. Wo ich gehe, treffe ich andere Leute der Gesellschaft, egal was ich mache. Ich fahre Straßenbahn, ich treffe Leute. Ich gehe in einen Laden, ich treffe Leute. Alles was man macht, dazu muss man frei sein. Und um frei zu sein als Ausländer, musst du Versicherung haben. Und die beste Versicherung, die man hat, ist, wenn du Dokumente hast. Das kann man nicht vergessen. Man kann mal eine Minute was anderes denken, aber dann kommt es wieder, man ist nicht so frei. Das drückt immer, obwohl man vergessen kann, vielleicht für eine Stunde, man sitzt da mit anderen Leuten und kann Spaß machen, aber dann kommt das plötzlich: ich bin der einzige hier, der ich nicht richtig bin, es fehlt mir was... Das kann man nicht vergessen.

Was wünschst du dir am meisten an einem Leben mit Papieren? Was wäre das wichtigste?

Ja, mit Papieren... Was ich immer gewünscht habe, das war, mein Studium fertig zu machen. Das war, das ist mein großes Ziel. Ich bin das erste Mal nach Deutschland gekommen, weil ich studieren wollte. Und das habe ich nicht geschafft wegen der Politik, die war ein bisschen so intransparent, konnte man nicht begreifen, was die Leute mit uns getan haben. Aber dann später konnte man wissen, dass man nur benutzt wurde als billige Arbeitskraft sozusagen, denn man hat nichts gelernt, nur gearbeitet, Produktion, Produktion, Produktion. Ich wollte von Anfang an meine Ausbildung machen. Wenn ich mein Studium fertig machen kann, dann weiß ich, was ich zu tun habe, was ich machen will. Das ist mein großer Wunsch.

Hast du in letzter Zeit erwogen, in dein Herkunftsland zurückzugehen?

Das ist ein bisschen kompliziert, weil ­ mehr Zeit von meinem Leben hatte ich nicht für mich, ich habe überhaupt nicht mein ganzes Leben gelebt (lacht), wenn man so sagen kann. Mit 18, 20, da kann man so viel anfangen. Aber diese ganze Zeit, in der ich was anfangen konnte bei mir zuhause oder hier, habe ich nur für diese beiden Staaten gearbeitet, für meine Regierung und für Deutschland, für den Aufbau des Sozialismus. Ich habe nichts für mich getan. Hier haben sie mich die ganze Zeit gebraucht. Wenn ich nicht hier geblieben wäre in dieser Zeit, dann hätte ich gut da bei uns zuhause irgendwas geschafft. Aber wenn jemand über 10 Jahre weg ist, die ganze Jugend, und wenn man dann sagt “Du musst jetzt zurück”, wie kann man das? Man muss da wieder von null anfangen. Und wie? Die Gesellschaft nach Jahren, die ändert sich auch. Die Möglichkeiten, die ich mit 18 Jahren hinterlassen habe bei mir zuhause, sind nicht die, die ich nach 10 oder 20 Jahren noch finden kann da. Meine ganze Familie wurde umgebracht im Krieg. Ich habe niemanden da, wo ich hinkommen kann. Ich habe noch einen Freund, aber meine Eltern, mein Bruder, die sind im Krieg umgekommen, ich weiß nicht mal wo sie begraben wurden damals im Krieg, und das sind Dinge, die machen mir auch Stress. Die Regierung hier, die will mich nicht, die will mich raus. Die sagen uns auch, das ist eine Sache der sozialistischen demokratischen Republik. Und jetzt weiß man nicht, wer ist eigentlich für uns, wer kann was unternehmen für uns. Niemand überlegt sich was. Deutschland sagt, Ausländer raus, und da [in Mosambik] wollen sie mich nicht, weil ich hier viele Jahre geblieben bin. Das heißt, ich bin so gut wie fremd da, und ich bin auch fremd hier. Das heißt, niemand braucht mich zur Zeit. Wenn ich zurückgehe, bin ich da wie hier an der selben Stelle. Was sind deine Beobachtungen über die deutsche Gesellschaft, seit du hier lebst? Zu DDR-Zeiten waren die Leute, die mit Ausländern gearbeitet haben, richtig ausgebildet, die konnten auch sehr freundlich sein. Was die Ausländer machten wurde geehrt. Naja, der ist Ausländer, der kennt nicht richtig unsere Sprache, aber er lernt sehr schnell, der kann uns helfen. Da kriegte man auch Mut, sich einzusetzen in jedem Gebiet, auch kulturelle, politische Dinge, man konnte mehr machen. Jetzt merkt man den Unterschied, wie man hier denkt über Ausländer. Nur Ausländer zu sein ist ein großes Verbrechen. Alles Schlimmste wird den Ausländern zugeschoben. Man ist hier, man kommt hierher nach Deutschland, man arbeitet, was ich hier mache als Ausländer wird respektiert, aber ich, der Mensch der das macht, wird nicht respektiert. Man ist so gut wie moderne Sklaven. Ich hab an den Häusern mit gebaut, man wohnt jetzt hier, aber man respektiert nicht den, der die Wohnung gebaut hat. Die haben ein Gesetz, § 100 was weiß ich, das sagt, in Deutschland gibts keinen Rassismus,- Punkt. Das steht auf dem Papier. Das glaubt jeder, der hierher kommt, ein Amerikaner, ein Afrikaner oder ein Asiatischer denkt, in Deutschland gibts Gesetze gegen Rassismus. Das ist theoretisch, aber Rassismus passiert hier, und das kommt nicht von den einfachen Bürgern, die unterstützen nur die Ideologie von den Vorgesetzten. Der Afrikaner ist der Teufel. Gibts keine Engel. Einen schwarzen Engel gibst nicht. Ein Schwarzer ist ein Teufel. Sie machen uns zu Verbrechern. Was tue ich, wenn ich rumlaufe und mich schlägt jemand, ich bin verletzt, ich darf nicht in ein Krankenhaus gehen, Krankenversicherung -hab ich nicht. Man sieht nicht, dass ich blute, man sieht nur, ich muss in Abschiebehaft. Das ist einfach Rassismus, was soll noch mehr Rassismus sein. Da kann niemand sagen, es gibt keinen Rassismus hier. Ein Mensch, der nicht geklaut hat, der nicht vergewaltigt hat, hat nur gearbeitet, wurde hier illegalisiert und der lebt hier als Verbrecher. Was ist das für eine Politik?
 

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