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Todesfall Ali A.
Nr. 6: Februar 2003 >>zurück zur Übersicht?

Wer in Deutschland im Gefängnis ist, muss noch lange nichts verbrochen haben. Nach § 57 des Ausländergesetzes können Ausländer zur Vorbereitung und Sicherung ihrer Abschiebung bis zu zwölf Monate in Haft genommen werden. Unter welchen Bedingungen dort Menschen bis zu ihrer Abschiebung oder Freilassung leben müssen, drang an die Berliner Öffentlichkeit, als am 20. Januar 2003 mehr als 70 Häftlinge in einen Hungerstreik traten. Ihre Hauptforderung war die sofortige Freilassung aller Häftlinge, die länger als sechs Monate in Abschiebehaft sind und deren Abschiebung rechtlich nicht möglich ist. Sie klagten zudem über eine ungenügende medizinische Versorgung im Abschiebegewahrsam und eine schlechte - d.h. willkürliche und oftmals rassistische - Behandlung durch das Gewahrsamspersonal. Innensenator Körting wollte auf die Hauptforderung der Streikenden nicht eingehen, doch versprach er, Teile der bereits lange vor der rot-roten Regierung vom Abgeordnetenhaus beschlossenen Hafterleichterungen durchzusetzen. Zu diesen Hafterleichterungen gehören die Beschränkung der Isolationshaft auf Ausnahmefälle, die 24 Sunden Dauer nicht überschreiten sollen, die Entfernung von Innengittern vor den Fenstern, die Entfernung von Trennscheiben im Besuchertrakt und das Anbringen von Duschvorhängen in den Gemeinschaftsduschen. Außerdem hatte das Abgeordnetenhaus auch beschlossen, auf die Inhaftnahme von Minderjährigen, Schwangeren und Alleinerziehenden mit einem Kind unter 14 Jahren zu verzichten. Aufgrund dieser Zusagen des Innensenators brachen die meisten Häftlinge ihren Hungerstreik ab. Als sich herausstellte, dass es leere Versprechen waren, nahmen über 60 Häftlinge am 10. Januar ihren Hungerstreik wieder auf. Erste Selbstverstümmelungen und Selbstmordversuche wurden gemeldet und sollten in den nachfolgenden Wochen zum alltäglichen Geschehen in der Abschiebehaft werden. Mitte Februar wandten sich ca. 40 Frauen in einem offenen Brief an die Öffentlichkeit und forderten die Freilassung von schwangeren und kranken Frauen, ein Ende der Willkür der Wärter und Wärterinnen und eine Verbesserung der hygienischen Zustände bei den sanitären Anlagen. Nach der Veröffentlichung des Briefes nahmen die Repressionen ihnen gegenüber zu. Nachdem sich bis Mitte März schon mehr als 30 Gefängnisinsassen selbst verletzt hatten, veranlasste der Senator kurzfristig die Umsetzung seiner Zusagen. Der Hofgang der Häftlinge wurde von 60 auf 90 Minuten verlängert, Tischtennisplatten wurden aufgestellt, Arbeitsgelegenheiten für Langzeithäftlinge wurden eingerichtet und es wurde begonnen, die Innengitter vor den Fenstern der Etage abzubauen, in der die Langzeithäftlinge untergebracht sind. Der Innensenator erklärte, die Beschlüsse des Abgeordnetenhauses umgesetzt zu haben. Die Häftlinge brachen ihren Hungerstreik ab - es stellt sich die Frage, wie lange. Nicht eine der Forderungen der Häftlinge wurde erfüllt, stattdessen wurde schon jetzt wieder damit begonnen, die Zugeständnisse an die Inhaftierten zurückzunehmen. Die Arbeitsmöglichkeiten für Langzeithäftlinge wurden bereits nach etwa 14 Tagen wieder abgeschafft.

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