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Abschiebehindernis Arzt?
Nr. 6: Februar 2003 >>zurück zur Übersicht?

Soll ein ,ausreisepflichtiger‘ Flüchtling abgeschoben werden, muss ein fachärztliches Gutachten vorliegen, das den betroffenen Menschen für ,flugreisetauglich‘ erklärt. Stellt der Arzt jedoch fest, dass der Flüchtling nicht reisefähig ist, muss eine Abschiebung in letzter Minute ausgesetzt werden. Da nach Ansicht der Bundesärztekammer nicht abgeschoben werden darf, wenn der Flüchtling psychisch gefährdet ist, er also z.B. an einer ,posttraumatischen Belastungsstörung‘ leidet oder wenn die Abschiebung eine weitergehende Behandlung unmöglich macht, fallen viele der ärztlichen Gutachten zugunsten des Flüchtlings aus. Laut Aussage eines Sprechers des niedersächsischen Innenministeriums kann deshalb ,nur‘ etwa jede zweite Abschiebung durchgeführt werden. Den Innenministerien sowie den Ausländerbehörden ist das ein arger Dorn im Auge. Sie unterstellen den zuständigen Ärzten, ,Gefälligkeitsgutachten‘ zu schreiben und verlangen von ihnen, lediglich anzugeben, ob der Flüchtling transportfähig sei oder nicht. Sie argumentieren: „Der bloßen Flugreisetauglichkeit dürfte eine posttraumatische Belastungsstörung in aller Regel nicht entgegenstehen.“ Im Klartext heißt das: Ob ein Flüchtling sich nach der Abschiebung das Leben nimmt, oder ob er in dem Land, in das er abgeschoben werden soll, auf jede weitere ärzt-liche Behandlung verzichten muss, spielt keine Rolle. Solange er nur den Flug überlebt, steht seiner Abschiebung nichts im Wege. Und um zu gewährleisten, dass der betroffene Flüchtling sich nicht vor oder während der Abschiebung umbringt, müsse ­ so die perfide Argumentation der Ausländerbehörde ­ der Suizidgefährdete eben ohne vorherige Angabe des ,Rückführungsdatums‘ von zu Hause abgeholt und unter ärztlicher Überwachung ausgeflogen werden. punktausendederdurchsage. In den offiziellen Grundsätzen der Ärztekammer ist hingegen festgehalten, dass „eine Untersuchung ausschließlich auf Flugtransportfähigkeit aus ärztlich-ethischer Sicht nicht möglich” ist. Hier steht das Schicksal und Wohlergehen des Einzelnen über der zu erreichenden Quote ,erfolgreicher Aschiebungen‘. Ursula Auerswald, die Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, drängt auf die Wahrung ethischer Grundsätze und warnt die Innenminister davor, Ärzte dazu zu veranlassen, „ausländische Menschen als Menschen zweiter Klasse zu behandeln.“ Genau das geschieht jedoch, wenn Ärzte aufgefordert werden, auf eine ,ganzheitliche Untersuchung‘ zu verzichten und ihre ansonsten geltenden ärztlichen Bedenken außen vor zu lassen. Da nach Ansicht der Ministerien und Ausländerbehörden die Ärzte jedoch nach wie vor ,zu ärztlich‘ arbeiten und mit ihren positiven Gutachten den möglichst unauffälligen und reibungslosen Verlauf von Abschiebungen verhindern, ist im Dezember letzten Jahres auf der Konferenz der Innenminister in Bremen beschlossen worden, dass sich Bund und Länder “über das zur Abschiebung eingesetzte medizinische Fachpersonal” untereinander informieren sollen, “um über den Rückgriff auf dieses Personal ggf. eigene Probleme bei der Gewinnung geeigneten medizinischen Fachpersonals zu verringern.” Auf den Weg gebracht ist damit eine Art Ärzte-Pool, in dem die jeweilige Ausländerbehörde so lange fischen darf, bis sie einen Arzt gefunden hat, der ein ihr genehmes Gutachten verfasst. Das ist fast so ,rentabel‘ wie die in Hamburg und andern Orts bereits seit längerem gängige Praxis der Ausländerbehörde, auf einen hauseigenen Arzt zurückzugreifen, d.h. auf einen Arzt, der im Zweifelsfall im Sinne der Behörde ­ und nicht im Sinne des Flüchtlings ­ gutachtet. Das sei schließlich weitaus effektiver und kostengünstiger als einen niedergelassenen Arzt zu konsultieren, erklärt Dagmar Dahmen, die Leiterin der Ausländerbehörde Köln. Gegen diese Art der ,Effizienz‘ wehrt sich die Ärztekammer-Vize Auerswald energisch: Die Begutachtung von Flüchtlingen habe ausschließlich durch „unabhängige Ärzte und Ärztinnen zu erfolgen”. Ob sie diese Position gegenüber der sogenannten ,Arbeitsgruppe Rückführung‘ durchsetzen kann, die von den Innenministerien beauftragt wurde, die Suche nach „besonders qualifizierten Ärzten” zu koordinieren, müssen die weiteren Verhandlungen zeigen.
Quelle: Sammlung der zur Veröffentlichung freigegebenen Beschlüsse der 171. Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister- und Senatoren der Länder am 6. Dezember 2002 in Bremen sowie verschiedene Zeitungsartikel.

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