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Ungewisses Warten
Nr. 5: Juni 2002
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Artikel 3 der UN-Kinderrechtskonvention besagt: „Bei allen staatlichen Maßnahmen,
die Kinder betreffen, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der
vorrangig zu berücksichtigen ist.“ Die Bundesregierung hat die Konvention
1992 unterzeichnet, aber nur unter Vorbehalt. Die Konvention soll keinerlei
beschränkenden Auswirkungen
auf das deutsche Asyl- und Ausländerrecht haben. Einige Folgen dieses Vorbehaltes
beschreibt der folgende Artikel.
Bis zu ihrer Abschiebung werden ausländische Jugendliche über Monate in Haft
genommen. Das einzige Verbrechen, das sie begangen haben, ist ihr Wunsch,
in Deutschland zu leben. Ohne Familie fliehen Jugendliche meist aus
afrikanischen Staaten und Osteuropa in die Bundesrepublik. Sie erhoffen
sich hier ein
besseres
Leben. Oft aber müssen die Minderjährigen erkennen, dass ihr gelobtes Land
sie nicht haben will. Zurzeit befinden sich nach Schätzung des Flüchtlingsrates
ungefähr zehn junge Menschen in Berliner Abschiebehaft, einige über einen Zeitraum
von bis zu sechs Monaten. Die 16- bis 18-Jährigen behandelt das deutsche Asylrecht
wie Erwachsene. Eine Aufenthaltsgenehmi-gung zu erhalten, ist schwer. „Oft
kommen die Jugendlichen gar nicht dazu, einen Aufenthaltsstatus zu beantragen“,
weiß Jens-Uwe Thomas vom Berliner Flüchtlingsrat. „Manche können weder lesen
noch schreiben und wissen gar nicht, was mit ihnen passiert.“ Sie seien überfordert
und begriffen die rechtliche Lage nicht. Der Flüchtlingsrat fordert die Entlassung
Minderjähriger aus der Abschiebehaft. Die gefängnisähnlichen Zustände belasten
die Jugendlichen, besonders da sie sich keiner Schuld bewusst sind.
Viele seien apathisch, andere machten auf sich aufmerksam, indem sie
sich selbst verletzten. Nicht selten endet dies in einem Selbstmordversuch. „Jugendliche
gehören da nicht rein“, bekräftigt auch Bruder Müller vom Jesuitenflüchtlingsdienst.
Abwechselnd mit einem evangelischen Seelsorger besucht er das Gefängnis in
Grünau zweimal in der Woche. Genaue Angaben über die Anzahl inhaftierter Minderjähriger
kann er nicht machen. Von der Haftleitung bekommt er weder Zahlen noch
Namen genannt. „Alle leiden unter der Haftdauer“, berichtet der Bruder. „Zu
Beginn ist es nicht so schlimm, da machen die jungen Leute das Spiel
noch mit und
kommen sich sogar erwachsen vor. Aber nach sechs bis acht Wochen bricht
die Fassade meist zusammen und das Kind kommt durch.“ Die Abschiebehaft für
16- bis 18-Jährige ist nicht zwingend. Ohne Probleme könnten sie in Jugendhilfseinrichtungen
untergebracht werden. Das verlangt neben dem Flüchtlingsrat und ProAsyl auch
das Berliner Abgeordnetenhaus. Thomas dazu: „Bei jungen Menschen sollte der
bestehende Spielraum der Ausländerbehörde ausgenützt werden.“
Die Inhaftierung der Jugendlichen verstößt gegen die UN-Kinderrechtskonvention.
Diese aber hat Deutschland nur mit dem Vorbehalt unterschrieben, dass
das deutsche Asylrecht Vorrang behält. „Bis der bundesweite Vorbehalt zurückgenommen
wird, kann es noch lange dauern“, vermutet Claudia Kittel von der Kinderkommission
des Bundestages. Sieben Bundesländer sperren
sich dagegen. „Dahinter steckt auch politische Taktik.“ Aber das auf Kosten
der Kinder.
(Laura Weissmüller, „Berliner Zeitung“ am 11. 03. 2002, S. 28)
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